Aus dem Land des „Käfer-Lächelns“ oder zum Schutz der berühmten Form in Deutschland
Die Entscheidungen Porsche 911 des Bundesgerichtshofes (I ZR 222/20) und Ur-Käfer des OLG Braunschweig (2 U 47/19)
Der Volkswagen Käfer und der Porsche 911 gehören unstreitig zu den großen Klassikern des Automobilbaus. Am 10. März urteilte das OLG Braunschweig über die Ansprüche der Erbin nach einem Karosseriekonstrukteur der damaligen Porsche Konstruktionen GmbH am Erscheinungsbild des ursprünglichen VW-Käfers, woraus sie Beteiligungsansprüche am Verkaufserfolg des VW New Beetle ableitete, der in den Jahren 1997 bis 2010 von VW produziert worden war. Kurze Zeit darauf, am 7. April, verkündete der Bundesgerichtshof sein Urteil in einem Streit, bei dem dieselbe Erbin aus einem vergleichbaren Sachverhalt ähnliche Ansprüche betreffend der Porsche Baureihe 991 des Typs Porsche 911 geltend gemacht hatten. Der Erblasser war 1966 verstorben, sodass die urheberrechtliche Schutzfrist in beiden Streitfällen noch bis 2036 liefe, so denn ein Urheberrechtsschutz für die jeweiligen Gestaltungen bestand. Das OLG Braunschweig hat die Klage rundweg abgewiesen, während der Bundesgerichtshof in der dort anhängigen Sache zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwies.
In beiden Fällen ging es um eine ganze Reihe wichtiger urheberrechtlicher Fragen, die sich durchaus auch bei anderen ikonischen Gestaltungen stellen können, die in ständig veränderter Form, doch immer noch als Teil einer Entwicklungslinie über Jahrzehnte fortgeschrieben wurden. Aus der Fülle der rechtlichen Probleme, die hier behandelt wurden, seien drei Rechtsfragen und eine tatsächliche hervorgehoben.
Reicht Berühmtheit der Form für den urheberrechtlichen Schutz?
Bei berühmten und besonders langlebigen Gestaltungen aus dem Bereich der angewandten Kunst kommen Faktoren ins Spiel, die in Urheberstreitsachen sonst keine Rolle spielen. Das eine Form irgendwann „Kult“ ikonisch berühmt wird, bedeutet nämlich durchaus nicht, dass sie zur Entstehungszeit besonders originell gewesen ist.
Gerade der VW Käfer ist dafür ein gutes Beispiel und die reich bebilderte Braunschweiger Entscheidung zeigt eine ganze Fülle verblüffend ähnlicher Fahrzeuge aus der Entstehungszeit des „Volkswagens“, dem der spätere Weltkonzern seinen Namen verdankt – und die heute niemand mehr kennt. Von all diesen Fahrzeugen lebt nur der „Käfer“ im Bewusstsein der Weltöffentlichkeit fort. Er war schon lange vor den letzten Produktionsjahrzehnten der ursprünglichen Baureihe, als er nur noch in Mittel- und Südamerika produziert wurde, zu einer Art „lebendem Fossil“ geworden, zum letzten Überlebenden einer Art, Autos zu bauen, die längst überholt war.
Deshalb muss die rechtliche Würdigung anhand des zur Zeit der Schöpfung bekannten Formenschatzes erfolgen, auch wenn dieser später in Vergessenheit geraten sein mag. Das OLG Braunschweig hat dies in seiner Entscheidung zutreffend erkannt. In der Porsche-Entscheidung findet sich nur ein kurzer Hinweis im selben Sinne (Rn. 31).
„Kultig“, so ist jedenfalls aus der Entscheidung des OLG Braunschweig zu folgern, ist keine urheberrechtliche Kategorie, ebenso wenig wie „berühmt“ oder „kunsthistorisch wegweisend“. Andere Gerichte sind in dieser Hinsicht nicht so stringent, wie die sehr generöse Rechtsprechung zum Schutz von Stahlrohrmöbeln der Bauhauszeit zeigt, in der aus kunsthistorischer Bedeutung auf urheberrechtliche Schutzfähigkeit geschlossen zu werden scheint.
Welcher Schutzstandard ist maßgeblich?
Von der Frage des zum Vergleich heranzuziehenden Formenschatzes ist die Frage zu trennen, welche der in den Jahrzehnten seit Entstehung berühmter Gestaltungen wie des Käfers oder des Porsche 365 bzw. 911 immer wieder veränderten Rechtslagen als Maßstab für die Prüfung heranzuziehen ist. An welchem Schutzstandard ist ein Uralt-Entwurf – insbesondere aus dem Bereich der angewandten Kunst – also zu messen?
- Dem Schutzstandard der Entstehungszeit?
- Dem Schutzstandard vor den Seilzirkus- und Geburtstagszug-Entscheidungen des BGH (GRUR 2014, 175 – Geburtstagszug)?
- Dem Schutzstandard vor den Cofemel- und Bromton-Entscheidungen des EuGH (C-683/17 – Cofemel; C-833/18 Brompton)?
Der BGH misst klar anhand des neuesten, vom EuGH harmonisierten Standards. Das OLG drückt sich insofern missverständlich aus, würde aber die heutigen Maßstäbe auf die tatsächliche Situation der Entstehungszeit anwenden und einem Gegenstand, der nach heutigen Maßstäben auf Basis der damaligen Tatsachen (insbesondere im Angesicht des damals bekannten Formenschatzes) nicht schutzfähig gewesen ist, den Schutz versagen.
Urhebervertragsrechtliche Fragen
Sowohl der BGH als auch das OLG Braunschweig wenden die aktuellen Regeln des Urhebervertragsrechts auch auf einen Urheber an, der, wie der Vater der Klägerin als Angestellter des Rechtsvorgängers der Beklagten, § 43 UrhG (Urheber in Arbeits- und Dienstverhältnissen) unterliegt. Beide Entscheidungen halten auch in solchen Fällen ohne Weiteres den Fairnessausgleich des § 32a UrhG für anwendbar. Dabei geht es aber nur um Neu-Sachverhalte, die nach Inkrafttreten der neuen Regelung Ende März 2002 entstanden sind.
Visualisierungshilfen für das Gericht
Immer wieder zeigt sich, dass im Urheberrecht zwei Welten aufeinanderprallen: Die der Kreativen und die der Juristen, die mit den Hervorbringungen der Kreativen umzugehen haben. Wie vermittelt man in einem Rechtsstreit um ein Musikstück den Kern der Auseinandersetzung, wenn das Gericht nicht musikalisch geschult ist? Wie kann man im Bereich der angewandten Kunst deutlich machen, worum es geht? Die Gestalter verfügen meist über ein ausgeprägtes räumliches Vorstellungsvermögen, über das die erkennenden Richter dagegen nicht notwendigerweise verfügen.
Deshalb ist schon mancher Prozess in diesem Bereich gewonnen (oder verloren) worden, weil die beiden Muster, „Original“ und „vermeintliche Nachahmung“ physisch in den Gerichtssaal expediert wurden – das mag bei sperrigen Gegenständen einen nicht unerheblichen Aufwand bedeuten.
Doch was tun, wenn der Gegenstand, um den es geht, auf keinen Fall in den Gerichtssaal passt oder – wie im Braunschweiger Fall um die Urheberschaft am VW „Käfer“ – das vermeintliche Original nur als Entwurfszeichnung existiert? Es ging dabei unter anderem um die Frage, ob in den folgenden Zeichnungen die prägenden Formen des späteren „Käfer“ bereits angelegt waren.
Hier betrat die Beklagtenpartei mit einer Visualisierungshilfe für das Gericht in Gestalt eines virtuellen Modells, das dreidimensional in allen denkbaren Ansichten dargestellt und dem später ausgeführten Fahrzeug gegenübergestellt werden konnte, Neuland.
So wurde auch für den Laien sichtbar, dass der Entwurf der Klägerseite entgegen deren Behauptung mitnichten „lächelte“, weil die Haube im vermeintlichen Original ganz gerade abschloss. Die Ansicht von schräg hinten zeigt zudem, dass der ausgeführte Käfer einem ganz anderen Entwurfskonzept folgte als das angebliche Vorbild, erkennbar an den ausladenden Kotflügeln, dem Trittbrett und der ebenfalls in einer Wölbung auslaufenden Heckpartie beim ausgeführten Fahrzeug. Das OLG Braunschweig hat auf dieser Grundlage korrekt subsumiert.
Solche Visualisierungshilfen sind mit aktueller CAD-Technik mit überschaubarem Aufwand herstellbar, wenn auch unter Umständen nicht immer in so hoher Qualität, wie hier gezeigt.
Fazit
Die große Bereitschaft (man könnte fast sagen: Erleichterung), mit der das erkennende Gericht von dieser Hilfestellung Gebrauch machte, zeigt, wie wichtig es sein kann, gerade im Bereich der angewandten Kunst ebenso sehr visuell wie sprachlich zu argumentieren.