OLG Düsseldorf: Zurechnung von Umgestaltungsmaßnahmen durch Abnehmer nach der Entscheidung „Garagentor“
Einleitung
Die Darlegung einer unmittelbaren Patentverletzung nach § 9 PatG ist für den Patentinhaber grundsätzlich einfacher als die Darlegung einer mittelbaren Patentverletzung nach § 10 PatG, weil Letztere an zusätzliche, insbesondere subjektive Voraussetzungen geknüpft ist. Die unmittelbare Verletzung ist für den Patentinhaber rechtlich zudem günstiger als die mittelbare, weil Letztere insbesondere bei patentfreien Verwendungsmöglichkeiten der angegriffenen Ausführungsform keinen unbedingten Unterlassungsanspruch gewährt, sondern der Verletzer bei Befolgung bestimmter Handlungspflichten vielmehr der Unterlassungspflicht nicht unterliegt.
Im Zweifel wird ein Patentinhaber also versuchen wollen, eine unmittelbare Verletzung statt einer mittelbaren Verletzung geltend zu machen.
Die unmittelbare Verletzung eines Erzeugnisanspruchs nach § 9 PatG setzt allerdings grundsätzlich voraus, dass die angegriffene Ausführungsform sämtliche Anspruchsmerkmale verwirklicht. Ist dies nicht der Fall, kommt, wie dargelegt, nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 10 PatG eine mittelbare Verletzung in Betracht.
Ausnahmen in der Rechtsprechung
Die Rechtsprechung hatte hiervon jedoch schon in der Vergangenheit Ausnahmen gemacht und unter bestimmten Voraussetzungen eine unmittelbare Verletzung angenommen, wenn nicht alle Merkmale eines Erzeugnisanspruchs verwirklicht sind und die Verwirklichung der fehlenden Merkmale erst auf Abnehmerseite geschieht, beispielsweise weil die Verwirklichung der fehlenden Merkmale nur die Hinzufügung überall erhältlicher, nicht erfindungswesentlicher Teile oder die bloße Zusammensatzung sukzessiv gelieferter Teile erfordert (vgl. beispielsweise LG Düsseldorf, Urteil vom 5.2.2004, Az. 4b O 388/03, BeckRS 2006, 4947; LG Düsseldorf, Urteil vom 5.8.2008, Az. 4a O 220/07, BeckRS 2012, 5045).
Das OLG Düsseldorf hatte 2011 schließlich die dogmatische Herleitung dieses Ergebnisses begründet und bezeichnete erstere Variante mit dem nun allgemein bekannten Schlagwort „Allerweltszutat“. Maßgeblich ist gemäß dieser Entscheidung, ob der Lieferant einer angegriffenen Ausführungsform mit der Hinzufügung dieser Zutat rechnet oder hierzu anleitet (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.2.2011, Az. 2 U 122/09, BeckRS 2011, 8375).
In dieser und einigen anderen, nachfolgenden Entscheidungen ging es um die Hinzufügung eines weiteren Gegenstandes bzw. einer weiteren Zutat auf Seiten des Abnehmers zur vollständigen Verwirklichung des Patentanspruchs, zum Beispiel Wasser zu einem beheizbaren Boden für Viehställe (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.7.2018, Az. 15 U 43/15, GRUR-RS 2018, 22632) oder die Bereitstellung eines handelsüblichen PCs zur Installation der erfindungswesentlichen Software hierauf (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.04.2017, Az. I-2 U 23/14 GRUR-RS 2017, 109820).
Andere Entscheidungen übertrugen diese Rechtsprechung auf diejenigen Fälle mit Software-Bezug, in denen die angegriffene Ausführungsform auf Seiten der Abnehmer so verändert werden kann, dass sie die fehlenden Merkmale erfüllt (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.2.2015, Az. I-15 U 39/14, GRUR-RR 2016, 97; OLG München, Beschluss vom 9.4.2019, Az. 6 U 4653/18, GRUR-RS 2019, 41076; OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.4.2020, Az. I-2 U 15/19, GRUR-RR 2020, 289).
Entscheidung „Garagentor“
In der Entscheidung mit dem Stichwort „Garagentor“ (Urteil vom 22.7.2021, Az. 2 U 58/20, GRUR-RR 2021, 429) überträgt das OLG Düsseldorf diese Grundsätze nun auch auf Fälle, in denen eine unmittelbare Patentverletzung erst dann vorliegt, wenn der Abnehmer ein körperliches Bauteil von der angegriffenen Ausführungsform entfernt.
Die in den zitierten Entscheidungen formulierten Voraussetzungen werden übernommen und präzisiert. Demnach muss zunächst davon auszugehen sein, dass seitens der Abnehmer eine Umgestaltung vorgenommen wird, die zur Verwirklichung sämtlicher Merkmale des geltend gemachten Patentanspruchs führt, und dies dem Beklagten zurechenbar ist. An eine derartige Zurechnung ist etwa zu denken, wenn der Beklagte diese Umgestaltung als letzten Herstellungsakt – ausdrücklich oder konkludent – angeleitet oder zumindest bewusst für sich ausgenutzt hat (Rn. 98). Hierfür ist genauer Sachverhaltsvortrag erforderlich (Rn. 99) und die Regelungen zur Verspätung zu beachten (Rn. 100).
Nach Kenntnis des Autors sind gegenwärtig sowohl gegen die Entscheidung „Garagentor“ als auch gegen die angeführte Entscheidung GRUR-RR 2020, 289 (Entscheidungsstichwort „Repeater“) gegenwärtig Nichtzulassungsbeschwerden beim BGH anhängig (Az. X ZR 48/20 bzw. X ZR 72/21). Der BGH wird also Gelegenheit haben, für die Praxis in diesen und vergleichbaren Sachverhalten maßgebliche Weichen zu stellen.