Computerspiele gewinnen mehr und mehr an Bedeutung, nicht nur im Alltag, sondern auch in der rechtlichen Theorie. Der Bundesgerichtshof hat nun eine Entscheidung zum Online-Spiel „World of Warcraft“ (BGH, Urteil vom 06.10.2016, I ZR 25/15 – World of Warcraft I) erlassen, in der er wichtige Fragen an der Schnittstelle von Softwareurheberrecht zum Urhebervertragsrecht sowie allgemeinem Vertragsrecht anspricht.
Sachverhalt
Die Entscheidung ist vor dem Hintergrund der SAS-Entscheidung des EuGH (EuGH GRUR 2012, 814 – SAS Institute Inc./World Programming Ltd.), auch der Half Life-Entscheidung des BGH (BGH MMR 2010, 771 – Half Life 2), aber auch der Serie von Entscheidungen zu Gebrauchtsoftware (EuGH GRUR 2012, 904 – UsedSoft/Oracle ; BGH GRUR 2011, 418 – UsedSoft; BGH GRUR 2014, 264 –UsedSoftII; BGH GRUR 2015, 772 – UsedSoft III) zu verstehen.
Streitgegenstand der Entscheidung sind typische Online-Spiele, neben dem Spiel Diabolo eines der bekanntesten, das Computerspiel World of Warcraft. Solche (neudeutsch) Games machen mittlerweile mehr Umsatz als manch Hollywood-Film. Es besteht – wie alle Computerspiele – neben der das Spiel steuernden Software aus vom BGH sogenannten Spieledaten, also Grafiken, Musik, Texten, aber auch – wie der BGH formuliert – „Filmsequenzen“ und „Modellen“. Derartige Spiele werden immer mit sogenannten EULAs, End User License Agreements, vertrieben. Im vorliegenden Fall enthielt diese EULA des Computerspiels World of Warcraft u.a. die Formulierung, dass Nutzungsrechte „widerruflich“ und „nicht übertragbar“ eingeräumt würden und zudem das ausdrückliche Verbot, mit dem Spiel einen kommerziellen Zweck zu verfolgen. In den EULA des Computerspiels Diabolo war zudem ein ausdrückliches Verbot der Verwendung sogenannter Bots enthalten. Bots sind selbst Computerprogramme; sie dienen einer Automatisierung, mit der der Spieler seinen Spielcharakter einfach und ohne zeitaufwändige und – wie der BGH schön formuliert – „spielerisch reizlose“ Handlungen weiter entwickeln kann. Sie sind bei Online-Spielen weit verbreitet. Daher wandte sich die Rechteinhaberin gegen die Beklagte, die derartige Bots vertrieb.
Streitgegenständlich war allein die unzulässige Vervielfältigung der Computerspiele. Vor dem BGH ging es nur noch um urheberrechtliche Ansprüche. Vertragliche Ansprüche waren zwischenzeitlich an ein anderes Gericht verwiesen worden.
Entscheidung
Nach Ausführungen zur Prozessstandschaft und zu Fragen des Rechtsmissbrauchs wegen verschiedener anderer anhängiger Verfahren, die hier nicht von Interesse sind, wendet sich der BGH zunächst einem für die Praxis wichtigen Thema zu, der Bestimmtheit des Klageantrags in Streitigkeiten um Computerprogramme und andere technisch geprägte Gegenstände. Der BGH hält fest, dass ein Klageantrag auch dann hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 ZPO ist, wenn er allgemeine Begriffe zur Bezeichnung der zu untersagenden Handlung verwendet. Voraussetzung ist allerdings, dass über den Sinngehalt der verwendeten Begriffe kein Zweifel besteht, so dass die Reichweite von Antrag und Urteil feststeht (BGH, Urteil, I ZR 25/15, Tz. 29 – World of Warcraft I). Diese bislang für im Wesentlichen für wettbewerbsrechtliche Fragen aufgestellte Rechtsprechung ist im Urheberrecht nunmehr auch anwendbar, da Bezeichnungen wie der Name der Software und auch (dazu sogleich im Detail) eine Einschränkung „zu gewerblichen Zwecken“ hinreichend bestimmt im Sinne der Rechtsprechung des BGH sind (BGH, Urteil, IZR 25/15, Tz. 30 ff. – World of Warcraft I).
Nach dieser prozessualen Erwägung spricht der BGH den Schutzgegenstand des Streites an, nämlich das Computerspiel. Bereits an dieser Stelle beginnen die unbeantworteten Fragen, die das Urteil aufwirft. Der BGH beginnt seine Ausführungen zum Schutzgegenstand damit, dass er von der „Client-Software“ für die Online-Spiele „World of Warcraft“ und „Diabolo 3“ spricht. Er fährt dann fort, dass diese Software nicht nur aus einem Computerprogramm besteht, sondern auch audiovisuelle Spieldaten enthält. Bereits diese Formulierung ist ungenau, nicht die Client-Software besteht aus einem Computerprogramm und Spieledaten, sondern das Computerspiel selbst besteht aus dem es steuernden Computerprogramm und das Spielerlebnis ermöglichenden Spieledaten. Zwar differenziert der BGH sodann sehr wohl nach den Bestandteilen eines Computerspiels, also z.B. Sprachwerken, Musikwerken u.a., und spricht davon, dass diese Bestandteile urheberrechtlich geschützt sein können „oder an der Originalität des Gesamtwerkes teilhaben und zusammen mit diesem Urheberrechtschutz genießen“ (BGH, Urteil, I ZR 25/15, Tz. 34 – World of Warcraft I unter Verweis auf EuGH GRUR 2014, 255, Rn. 23 – Nintendo/PC-Box und 9net und BGH-GRUR 2013, 1035, Rn. 20 – Videospiel/Konsolen I u.a.). Leider bleibt der BGH aber bei dieser Aussage stehen. Obwohl er erkennt, dass ein Computerspiel ein Ganzes aus mehreren urheberrechtlich relevanten Bestandteilen ist, erörtert er nicht die Frage, ob für dieses Ganze ein eigener Gesamtwerkschutz Anwendung findet oder jedes der Teile Einzeln Schutz genießt. Das wäre wichtig gewesen für die Klärung der Frage, ob für jeden dieser Bestandteile des Gesamtwerkes die jeweils besonderen urheberrechtlichen Normen Anwendung finden oder aber – wie Bullinger und der Verfasser vertreten – man sich bei bestimmten urheberrechtlichen Fragestellungen entscheiden muss und gerade nicht kumulativ alle denkbar anwendbaren urheberrechtlichen Normen zur Anwendung bringen kann (Bullinger/Czychowski, GRUR 2011, 19, 22–24). Der BGH macht es sich zu einfach, an dieser Stelle auf die EuGH Entscheidung Nintendo zu verweisen; diese hatte die Trageweite der Frage nicht erkannt und sie stellte sich in dem dortigen Fall nicht unmittelbar (BGH, Urteil, I ZR 25/15, Tz. 34 – World of Warcraft I unter Verweis auf EuGH GRUR 2014, 255, Rn. 23 – Nintendo/PC-Box und 9net).
Dass der BGH insoweit nicht konsequent ist, zeigt sich auch bei seinen Erörterungen zum Eingriff in die Rechte des Computerspielherstellers. Letztere identifiziert er als Vervielfältigungsrechte und zitiert nicht entweder § 16 UrhG oder § 69c Nr. 1 UrhG, sondern er spricht von einer „Vervielfältigung der Client-Software“ nach §§ 69c Nr. 1, 15 Abs.1, 16 UrhG (BGH, Urteil, I ZR 25/15, Tz. 36 – World of Warcraft I). Er wendet also allgemein werkrechtliche Verwertungsrechte kumulativ mit dem speziellen Vervielfältigungsrecht für Computerprogramme an und dass ohne zu differenzieren, welches Recht auf welchen Bestandteil des Computerspiels Anwendung finden soll.
Zu Recht stellt der BGH in diesem Zusammenhang auch klar, dass die bloße Anzeige von auf der Client-Software enthaltenen Werken auf dem Bildschirm keine eigenständige Vervielfältigungshandlung liegt, was durchaus in Linie mit der bisherigen Rechtsprechung und der überwiegenden Literaturmeinung steht (BGH, Urteil, I ZR 25/15, Tz. 38 – World of Warcraft I).
Die dogmatisch wohl richtigste Weichenstellung nimmt der BGH sodann bei der Frage vor, ob wenn schon nicht aus dem Lizenzvertrag, dann aus § 69d Abs. 3 UrhG eine Rechtfertigung für die Herstellung der Automatisierungssoftware und deren Nutzung vorliegt. Er konturiert den Umfang des § 69d Abs. 3 UrhG, zu dem nur wenige Entscheidungen bislang vorliegen, und stellt fest, dass mit § 69d Abs. 3 UrhG nur Formen der Programmanalyse erfasst sind, die nicht mit einem Eingriff in den Programmcode verbunden sind (BGH, Urteil, I ZR 25/15, Tz. 57 – World of Warcraft I). Dem ist ohne Weiteres zuzustimmen, insbesondere macht der BGH deutlich, dass ein Berufen auf § 69d Abs. 3 UrhG keinen Zugang zum Quellcode erfordert oder gar einen solchen gewährt (BGH, Urteil, I ZR 25/15, Tz. 61 – World of Warcraft I).
Der BGH geht damit so weit, Vervielfältigungen über § 69d Abs. 3 UrhG zu gestatten, die weit über das eigentliche Ziel von § 69d Abs. 3 UrhG, nämlich Interoperabilität zu ermöglichen, hinausgehen. Der BGH vergleicht den vorliegenden Fall mit dem EuGH-Fall SAS Institute (BGH, Urteil, I ZR 25/15, Tz. 61 – World of Warcraft I). In diesem Fall hat der EuGH festgestellt, dass Funktionalitäten von Computerprogrammen nicht am urheberrechtlichen Schutz teilnehmen. Der BGH überträgt diesen Gedanken: Nicht nur die Entwicklung von Alternativsoftware, auch die Entwicklung von Ergänzungssoftware ist zulässig. Das geht weit, scheint nach den Vorgaben der Software-Richtlinie aber richtig. Denn diese gibt in den Erwägungsgründen 10 und 15 deutlich zu erkennen, dass sie Interoperabilität und Interaktion zwischen unabhängig geschaffenen Computerprogrammen fördern will. Auch wenn der BGH diese so nicht erwähnt, ist der Argumentation zuzustimmen.
Aus dieser Entscheidung entnimmt der BGH die Begründung, dass auch im vorliegenden Fall die Herstellung von Automatisierungs-Bots nach § 69d Abs. 3 UrhG eigentlich zulässig wäre, auch wenn nach dem (als AGB ja nicht einbezogenen) Lizenzvertrag eine kommerzielle Nutzung verboten worden war (BGH, Urteil, I ZR 25/15, Tz. 63 – World of Warcraft I). An dieser Stelle offenbart sich, dass die Klägerin einen Pyrrhus-Sieg errungen hat, denn der BGH ist grundsätzlich der Auffassung, dass die Entwicklung von Bots nach § 69d Abs. 3 UrhG zulässig ist – eine sehr weitgehende Auffassung.
Dieser Artikel wurde zum ersten Mal auf dem Kluwer Copyright Blog veröffentlicht.