Richtungsweisendes Urteil des EuGH mit erheblichen Auswirkungen auf die Strategien bei europäischen Patentstreitigkeiten
Anfang dieser Woche hat der EuGH sein lang erwartetes Urteil in der Sache BSH gegen Electrolux (EuGH, Urteil vom 25. Februar 2025, C-339/22) gefällt und damit die Möglichkeiten sowohl des EPG (Einheitliches Patentgericht) als auch der nationalen Gerichte in den EU-Mitgliedstaaten, grenzüberschreitende Unterlassungsklagen zu erlassen und über Patentverletzungen in Ländern außerhalb des jeweiligen Gerichtsgebiets zu entscheiden, erheblich erweitert.
In seiner endgültigen und unanfechtbaren Entscheidung beantwortete der EuGH mehrere Fragen zur Auslegung der VO (EU) 1215/2012, auch Brüssel I-bis Verordnung (hier: BR). Diese Fragen waren von einem schwedischen Gericht aufgeworfen worden, das von BSH aufgefordert worden war, über die angebliche Verletzung aller nationalen Teile des europäischen Bündelpatents durch Electrolux, einschließlich in einem Nicht-EU-Staat, zu entscheiden. Das schwedische Gericht war grundsätzlich für die Entscheidung über diese Anträge zuständig, da Electrolux ein schwedisches Unternehmen ist und Art. 4 Abs. 1 BR den Gerichten der EU-Mitgliedstaaten eine allgemeine Zuständigkeit für alle Verletzungshandlungen verleiht, die von einer in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Person oder einem dort ansässigen Unternehmen begangen werden (unabhängig davon, wo die Verletzungshandlung begangen wird).
Art. 24 (4) BR beschränkt diese Zuständigkeit jedoch auf Fälle, die die „Gültigkeit von Patenten“ betreffen. Diese Beschränkung wurde bisher in Anlehnung an eine Reihe früherer Entscheidungen des EuGH (insbesondere Roche vs. Primus, Solvay vs. Honeywell und GAT vs. LUK) so verstanden, dass sie dann gilt, wenn ein Beklagter die Gültigkeit eines Patents in einem der betroffenen ausländischen Staaten angegriffen hat. Da ein solches Vorgehen grundsätzlich jedem Beklagten offen steht, haben das obige Verständnis und die entsprechende Gerichtspraxis in den letzten Jahren dazu geführt, dass die meisten Patentinhaber ihre Klage vor einem nationalen Gericht in der EU (oder jetzt auch vor dem EPG) auf Verletzungshandlungen beschränkt haben, die im tatsächlichen Hoheitsgebiet des jeweiligen Gerichts begangen wurden.
Der EuGH hat nun den Anwendungsbereich von Art. 24 (4) BR in Bezug auf Patentverletzungsfälle klargestellt. Nach Ansicht des EuGH betrifft die in Art. 24 (4) BR erwähnte „Gültigkeit von Patenten“ nur Gültigkeitsangriffe, die zu einer Nichtigerklärung des angegriffenen Patents erga omnes führen würden. Diese Anfechtungen müssen weiterhin vor den Gerichten des betreffenden Patents vorgebracht werden, z.B. vor dem Bundespatentgericht im Falle einer deutschen Validierung eines EP. Nach Ansicht des EuGH ist Art. 24 (4) BR jedoch nicht auf eine inter partes erhobene Einrede der Nichtigkeit gegen eine Patentverletzungsklage anwendbar. Folglich würde Art. 4 (1) BR es dem Gericht des EU-Mitgliedstaats, in dem der Verletzungsfall verhandelt wird, auch dann ermöglichen, über die Verletzung in einem solchen ausländischen Land zu entscheiden, wenn eine Nichtigkeitsklage in einem ausländischen Land erhoben wurde, indem es die Nichtigkeitsklage in dem ausländischen Land für seine inter partes Entscheidung bewertet und berücksichtigt.
Dieses Urteil wird voraussichtlich erhebliche Auswirkungen auf globale Patentstreitigkeiten und entsprechende Strategien haben, von denen nur einige genannt werden:
- Der Patentinhaber kann nun jeden in der EU ansässigen Beklagten vor den nationalen Gerichten seines Wohnsitzes wegen Verletzung eines Patenes in jedem beliebigen Land (weltweit) verklagen, auch auf Unterlassung und/oder Schadenersatz. Die Frage der Patentverletzung müsste dann folgerichtig auf der Grundlage des anwendbaren ausländischen Rechts entschieden werden. Dies könnte zur Notwendigkeit multinationaler Prozessführungsteams, Gutachten zum ausländischen Recht führen sowie einiger möglicher „Wendungen und Kniffe“ in Bezug darauf, wie ein europäisches Gericht ausländisches (z. B. US-amerikanisches) Recht beurteilen und anwenden könnte.
- Ebenso kann der Inhaber eines nicht ausoptierten (oder einoptierten) EP nun jeden Beklagten mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat des Einheitlichen Patentgerichts auch in Bezug auf EPÜ-Staaten, die nicht Teil des Systems des Einheitlichen Patentgerichts sind, vor dem EPG verklagen. Tatsächlich gibt es in dieser Hinsicht bereits einen ersten Präzedenzfall (der sogar noch vor der Entscheidung des EuGH entschieden wurde), nämlich die Entscheidung der Lokalkammer Düsseldorf vom 28. Januar 2025 in der Sache Fujifilm gegen Kodak, UPC_CFI_355/2023. Hier hat das Einheitliche Patentgericht seine Zuständigkeit auch in Bezug auf eine angebliche Verletzung eines EP im Vereinigten Königreich anerkannt.
- Der EuGH hat den nationalen Gerichten und dem EPG zwar eine weitreichende Zuständigkeit eingeräumt, aber akzeptiert, dass eine Nichtigkeitsklage in einem anderen Land vom Verletzungsgericht geprüft werden muss und auch zu einer möglichen Aussetzung des Verletzungsverfahrens führen kann. Für die Beklagten könnte dies bedeuten, dass sie ggf. mehrere Nichtigkeitsklagen gleichzeitig vor nationalen Gerichten erheben müssten, wenn Patentinhaber beschließen, eine Verletzungsklage wegen Patentverletzung in verschiedenen Ländern vor nur einem nationalen Gericht zu erheben. Je nach Umfang einer solchen Klage und der Anzahl der beteiligten Länder könnte dies erheblichen wirtschaftlichen Druck auf die Beklagten ausüben, die natürlich den Großteil dieser Kosten vorstrecken müssen.
- Eine der wichtigsten Fragen, die das Urteil BSH gegen Electrolux offenlässt, ist die genaue Reichweite des Begriffs „Wohnsitz“, einschließlich der äußerst relevanten Frage, ob mehrere gemeinsam Beklagte unter Anwendung der oben genannten Regelung verklagt werden können, wenn nur einer von ihnen tatsächlich eine Niederlassung in dem betreffenden EU-Mitgliedstaat hat. Die frühere Rechtsprechung des EuGH bietet zwar eine gewisse Orientierung in dieser Hinsicht, aber es wird sicherlich viele Versuche geben, diesen Begriff zu erweitern. Hierzu werden hoffentlich in den kommenden Monaten und Jahren einige klärende Entscheidungen getroffen.
- Schließlich bleibt die Frage der Vollstreckung durch die Entscheidung des EuGH unbeantwortet. Falls die lokalen Behörden eines Staates, auf den sich die Entscheidung über die Verletzung erstreckt, aber nicht der Staat des angerufenen Gerichts ist, die Entscheidung durchsetzen müssen, ist es wahrscheinlich, dass es von diesem Staat erheblichen Widerstand unter Verweis auf eine Überschreitung der gerichtlichen Zuständigkeit geben wird (insbesondere im Fall eines Nicht-EU- oder Nicht-EPA-Drittstaates). Wenn jedoch keine Hilfe von den lokalen Behörden eines Staates benötigt wird, auf den sich eine Entscheidung erstreckt, sollte eine solche mögliche „Durchsetzungslücke“ kein Problem darstellen.
Für Patentinhaber und mögliche Beklagte ist dies eine bedeutende Entwicklung, die bei der Planung von Durchsetzungsstrategien oder bei der Abwägung des entsprechenden Risikos, in der EU Geschäfte zu tätigen, berücksichtigt werden muss. Die Diskussion über weitere Auswirkungen dieses bahnbrechenden Urteils entwickelt sich rasch. Wir werden Ihnen zu gegebener Zeit weitere Informationen zur Verfügung stellen.