Normessentielle Patente, die den Zugang zu Schlüsseltechnologien kontrollieren, sind seit mehreren Jahren in der Debatte. In einer Grundsatzentscheidung hat der EuGH Kriterien zur Durchsetzung solcher normessentieller Patente formuliert. In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung der deutschen Gerichte zeichnet sich jetzt ab, wie diese Kriterien in der Praxis umgesetzt werden.
Normen spielen bei Schlüsseltechnologien, wie der Telekommunikation, eine zentrale Rolle, um deren breite Nutzung zu ermöglichen. Patente auf obligatorische Normbestandteile, so genannte normessentielle Patente, bilden dabei eine neuralgische Stelle. Einerseits sind die meisten Schlüsseltechnologien ohne Innovation und Investition in Forschung und Entwicklung und damit auch ohne Patente schlechthin nicht denkbar. Anderseits können solche Patente gerade die gewünschte und angestrebte breite Nutzung der Technologie verhindern und insbesondere die Schaffung neuer und innovativer Produkte, die diese Technologien nutzen, blockieren.
Dieser Konflikt hat in den letzten Jahren die Gerichte nicht nur in Deutschland, sondern weltweit vor allem im Zusammenhang mit normessentiellen Patenten im Telekommunikationsbereich beschäftigt. Wirtschaftlich sind die Nutzer der Technologie auf Lizenzen zu normessentiellen Patenten angewiesen und haben dementsprechend bei Lizenzverhandlungen eine schwache Verhandlungsposition, insbesondere dann, wenn es um große Portfolien geht. Wenn sich eine Einigung nicht herbeiführen lässt, laufen sie Gefahr, im Wege der Durchsetzung der Patente binnen kurzem vom Markt ausgeschlossen zu werden. Auf der anderen Seite gibt es im Markt Verhaltensweisen, die Patente konsequent ignorieren und darauf aufbauen, dass der Patentinhaber seine Rechte jedenfalls kurzfristig nicht durchsetzen kann oder wird. Rechtlich mündet dies in die Frage, wann ein Patentinhaber seine marktbeherrschende Stellung missbraucht und wann er lediglich seine legitimen Interessen verfolgt.
In dieser Situation hatte der EuGH im Jahr 2015, wie im B&B Bulletin September 2015 berichtet, in der Rechtssache C-170 / 13 Huawei Technologies Co. Ltd. ./. ZTE Corp. und ZTE Deutschland GmbH entschieden(1), dass der Inhaber eines für einen technischen Standard essentiellen Patents (SEP), der sich gegenüber der Normierungsorganisation unwiderruflich verpflichtet hat, jedem Dritten eine Lizenz zu fairen, angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen (FRAND-Bedingungen) zu geben, eine marktbeherrschende Stellung durch eine Klage auf Unterlassung oder Rückruf nicht missbraucht,
- wenn er vor Erhebung der Klage
… zum einen den angeblichen Verletzer auf die Patentverletzung, die ihm vorgeworfen wird, hingewiesen hat und dabei das fragliche SEP bezeichnet und angegeben hat, auf welche Weise es verletzt worden sein soll,… und zum anderen, nachdem der angebliche Patentverletzer seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen, dem Patentverletzer ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu diesen Bedingungen unterbreitet und insbesondere die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung angegeben hat und
- der angebliche Verletzer, während er das betreffende Patent weiter benutzt, auf dieses Angebot nicht mit Sorgfalt, gemäß den in dem betreffenden Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und nach Treu und Glauben, reagiert, was auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte zu bestimmen ist und u. a. impliziert, dass keine Verzögerungstaktik verfolgt wird.
Mit der Frage, wie diese Kriterien konkret und insbesondere bei bereits anhängigen Verfahren anzuwenden sind, haben sich die deutschen Instanzgerichte zwischenzeitlich mehrfach beschäftigt. Weitgehende Übereinstimmung scheint zu bestehen, dass die Entscheidung des EuGH ex tunc wirkt und dementsprechend die Kriterien des EuGH auch in solchen Verfahren anzuwenden sind, die zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits anhängig waren(2). Damit stellt sich unmittelbar die Frage, ob der vom EuGH geforderte Hinweis auf die Patentverletzung bereits mit der Klage als erfolgt angesehen oder in einem laufenden Verfahren nachgeholt werden kann. Der 15. Zivilsenat des OLG Düsseldorf und der 6. Zivilsenat des OLG Karlsruhe sind, mit unterschiedlicher Begründung, der vorläufigen Ansicht, dass dies möglich sein solle. Das OLG Düsseldorf vertritt, dass ein Versäumnis bei den Obliegenheiten der Klägerin nicht zu einem endgültigen Rechtsverlust führen könne und die Worte „vor Klageerhebung“ in der Entscheidung des EuGH nicht zwingend wörtlich zu verstehen sind(3), während das OLG Karlsruhe die Frage der Missbräuchlichkeit der Klage von der Missbräuchlichkeit der Fortsetzung des Rechtsstreits trennt(4). Demgegenüber vertritt die 7. Zivilkammer des Landgerichts Mannheim die Ansicht, dass Sinn und Zweck der Entscheidung des EuGH sei, dass die Verhandlungen mit einer lizenzwilligen Gegenpartei unbelastet von dem Druck eines laufenden Verletzungsverfahrens erfolgen, und dementsprechend das Lizenzangebot vorprozessual zu erfolgen habe(5). In diesem Zusammenhang ist es beachtenswert, dass der EuGH mit seinem Berichtigungsbeschluss vom 15. Dezember 2015 noch einmal ausdrücklich klargestellt hat, dass sowohl der Hinweis auf die Verletzung als auch das klägerische Lizenzangebot vor Erhebung der Klage zu erfolgen haben.
Eine wesentliche Bedeutung hat die Frage gewonnen, wann ein Angebot den FRAND-Kriterien entspricht und wie dies im Zivilprozess zu prüfen ist. Insoweit hatte das OLG Düsseldorf bereits Anfang des vergangenen Jahres entschieden(6), dass die in der Entscheidung des EuGH formulierten Obliegenheiten den Beklagten nur dann treffen, wenn zuvor der Patentinhaber seine Obliegenheiten erfüllt hat. Danach kommt es insbesondere nicht darauf an, ob das Angebot des lizenzbereiten Beklagten den FRAND-Kriterien entspricht, wenn nicht festgestellt werden kann, dass von dem Patentinhaber eine Lizenz zu solchen Bedingungen angeboten worden ist. Das OLG Karlsruhe hat sich dem im Wesentlichen angeschlossen(7) und insbesondere darauf abgestellt, dass es nicht ausreiche festzustellen, dass das Angebot des Patentinhabers nicht evident FRAND-widrig sei(8). Damit stellt sich die Frage, was der Patentinhaber vortragen muss, um hinsichtlich des Missbrauchsvorwurfs auf der sicheren Seite zu sein.
Der 15. Zivilsenat des OLG Düsseldorf hat hierzu in einem kürzlich ergangenen Hinweisbeschluss an die Parteien(9) seine vorläufige Ansicht detailliert dargelegt.
Er betont zunächst noch einmal, dass die Grundsätze der Entscheidung Huawei ./. ZTE nur dann Anwendung finden, wenn der Patentinhaber eine marktbeherrschende Stellung hat, wofür der Beklagte die Beweislast trägt, und geht davon aus, dass die gegenüber der Normierungsbehörde abgegebene FRAND-Erklärung nur für den Fall einer marktbeherrschenden Stellung abgegeben worden sei und auch nur für diesen Fall gelte.
An den Hinweis auf die Patentverletzung seien, so das Gericht, keine hohen Anforderungen zu stellen. Die Mitteilung der Patentnummer und der konkret vorgeworfenen Benutzungshandlung reiche aus. Ebenso reiche es hinsichtlich der Lizenzbereitschaft der Beklagten aus, wenn diese erkläre, eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen nehmen zu wollen. Für die Feststellung, dass die Beklagte in Wahrheit keine Lizenz nehmen wolle und die Lizenzbereitschaft lediglich formal erklärt habe, gälten hohe Anforderungen, die regelmäßig nur erfüllt seien, wenn das Verhalten des Patentbenutzers als ernsthafte und endgültige Lizenzverweigerung zu bewerten sei.
Detaillierte Anforderungen stellt das Gericht dagegen an das Lizenzangebot des Klägers und die von ihm zur Verfügung zu stellenden Informationen. Dabei geht das Gericht davon aus, dass nicht nur zu prüfen ist, ob das Angebot die wesentlichen Vertragsbestandteile eines Lizenzvertrages enthält und nicht evident FRAND-widrig ist, sondern vielmehr positiv festzustellen ist, dass es sich um ein Lizenzangebot zu FRAND-Bedingungen handelt, insbesondere dass der Patentinhaber dem Lizenzwilligen eine Lizenz zu vergleichbaren Konditionen wie anderen Lizenznehmern anbietet oder, im Falle einer Ungleichbehandlung, dafür triftige Gründe vorliegen. Vom Patentinhaber sind hierzu sämtliche Faktoren konkret darzulegen, aus denen sich die angebotene Lizenzgebühr ergibt und anhand derer nachgeprüft werden kann, dass das konkrete Angebot weder diskriminierend noch ausbeuterisch ist.
Hierfür muss nach vorläufiger Auffassung des Gerichts im Einzelnen zu Art und Umfang der bisherigen Lizenzierung vorgetragen werden, wenn die Beklagte (substantiiert) bestreitet, dass die angebotenen Konditionen den FRAND-Kriterien entsprechen. Insbesondere sind in diesem Fall zumindest die wesentlichen bisherigen Lizenznehmer und die mit ihnen vereinbarten Konditionen konkret zu benennen, ggf. unter einer Geheimhaltungsanordnung des Gerichts. Sofern das Angebot mit anderen Lizenzprogrammen verglichen wird, ist darzulegen, dass und warum das Portfolio des klagenden Patentinhabers mit den Portfolios der anderen Lizenzprogramme nach Qualität und Umfang vergleichbar ist.
Beim Angebot einer Portfoliolizenz ist ferner die Benutzung der Patente des Portfolios substantiiert darzulegen, z. B. unter Verwendung sogenannter Claim Charts; bei Vorlage einer Liste repräsentativer Patente (sogenannte Proud List) ist die Auswahl der Patente nachvollziehbar zu erläutern. Bei einer einheitlichen Lizenzgebühr für Länder mit unterschiedlichem Schutzrechtsbestand ist darzulegen, dass eine entsprechende Klausel in frei ausgehandelten Lizenzverträgen üblich ist oder aus anderen Gründen den FRAND-Kriterien entspricht. Zur Anpassung an etwaige Änderungen im Schutzrechtsbestand ist eine (in beide Richtungen offene) Änderungsklausel in den angebotenen Lizenzvertrag aufzunehmen. Ebenso sieht das Gericht eine Änderungsklausel für angezeigt, die verhindert, dass der Patentbenutzer im Falle weiterer berechtigter Lizenzforderungen übermäßig belastet wird.
Generell ist zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechung wie auch die rechtliche Diskussion zu den Implikationen der Entscheidung Huawei ./. ZTE nach wie vor im Fluss und keineswegs abgeschlossen ist. Ein Endurteil eines Berufungsgerichts liegt bislang nicht vor; die vorangehend genannten Entscheidungen der Oberlandesgerichte Düsseldorf und Karlsruhe sind im Rahmen eines Zwangsvollstreckungsverfahrens bzw. im Wege eines Hinweisbeschlusses ergangen und präjudizieren die jeweilige Endentscheidung nicht. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist erst in einigen Jahren zu erwarten.
Fazit
Bei allen Vorbehalten zeichnet sich jedoch ein Paradigmenwechsel ab. Es scheint weitgehende Übereinstimmung darin zu bestehen, dass die Entscheidung des EuGH nicht nur einen Katalog von Formalitäten aufgestellt hat, den es, ggf. im Verletzungsprozess, abzuarbeiten gilt, sondern dass sich mit den von dem EuGH aufgestellten Kriterien inhaltliche Anforderungen sowohl an das klägerische Lizenzangebot als auch an den Vortrag im Verletzungsprozess verbinden, die den klagenden Patentinhaber stärker in die Pflicht nehmen und letztlich die Darlegungslast gegenüber dem status quo ante verschieben. Oblag es bisher dem Beklagten nachzuweisen, dass das Angebot des Lizenzinhabers evident FRAND zuwider läuft, ist es nun im Regelfall an dem Kläger darzulegen, dass sein Angebot nicht ausbeuterisch und nicht diskriminierend ist. Dabei geht es nicht darum, ob die von dem Patentinhaber konkret geforderte Lizenzgebühr unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten angemessen ist(10). Vielmehr geht es um eine rechtliche und vor allem kartellrechtliche Prüfung des klägerischen Angebots, ob dieses angesichts der üblichen Lizenzpraxis in der Branche und der spezifischen Lizenzpraxis des Patentinhabers als fair und insbesondere nicht diskriminierend zu werten ist.
Dies erfordert allerdings, soweit nicht unabhängige Informationen zu den üblichen Konditionen und Gepflogenheiten auf dem entsprechenden Gebiet vorliegen, eine umfassende Darlegung und damit auch Offenlegung der Lizenzpolitik des Klägers, die nicht unbedingt in seinem Interesse liegt und auch vertraglichen Vereinbarungen zuwiderlaufen kann. Dies mag für manche Patentinhaber ein Grund sein, auf andere Jurisdiktionen oder alternative Streitbeilegung auszuweichen. Allerdings bildet die von dem OLG Düsseldorf in Erwägung gezogene Geheimhaltungsanordnung einen – von den Gerichten entsprechend auszugestaltenden – Rahmen(11), in dem sich grundsätzlich auch vertrauliche Sachverhalte erörtern lassen und wie er in ähnlicher Form aus anderen Rechtskreisen schon länger bekannt ist. Dem Beklagten gegenüber werden sich entscheidungserhebliche Informationen allerdings nicht geheimhalten lassen. Dies folgt nicht nur aus dem grundgesetzlich garantierten Rechts auf rechtliches Gehör. Man wird dem Beklagten fairerweise einen Anspruch auf Informationen zugestehen, die ihm nicht vorliegen und die ihm, unabhängig von den Angaben des Patentinhabers, eine eigene Beurteilung gestatten, ob das Angebot des Klägers den FRAND-Kriterien entspricht.
Wenn sich die Ansicht des OLG Düsseldorf durchsetzt, dass die Konformität mit FRAND vom Gericht positiv festzustellen ist, ergibt sich für den Kläger eine weitere Schwierigkeit. Er muss nämlich für das Gericht nachvollziehbar erläutern, warum sein Angebot fair und nicht diskriminierend ist. Gelingt ihm dies nicht, wird sein Unterlassungsbegehren abgewiesen. Der Umstand, dass sich Lizenzverträge aufgrund ihrer spezifischen Regelungen und Konditionen oft schwer und manchmal nicht ohne Hilfe eines Sachverständigen vergleichen lassen, geht dabei zu seinen Lasten. Dies kann im Einzelfall die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs erheblich erschweren oder sogar unmöglich machen.
Die Tendenz der deutschen Gerichte geht derzeit zu einer eher großzügigen Handhabung der formalen Erfordernisse, aber einer genauen Prüfung in der Sache. Dies ist im Interesse beider Seiten begrüßenswert. Ob es in der Sache bei den weitreichenden Anforderungen bleibt, wie sie das OLG Düsseldorf jetzt formuliert hat, wird man sehen müssen. Patentinhaber, die eine transparente Lizenzpolitik verfolgen, die sich konsistent und schlüssig darlegen lässt, sind jedenfalls im Vorteil.
Anmerkungen:
1 EuGH C-170/13 – Huawei Technologies Co. Ltd ./. ZTE Corp. u.a., Urteil vom 16. Juli 2015, ABl. C. 302, 2, deutsche Fassung berichtigt mit Beschluss vom 15. Dezember 2015
2 OLG Karlsruhe 6 U 55/16, Beschluss vom 31. Mai 2016, Rn. 25, OLG Düsseldorf 15 U 66/15, Beschluss vom 17. November 2016, Rn. 4
3 OLG Düsseldorf 15 U 36/16, Beschluss vom 9. Mai 2016, Rn. 36 und 37, dezidierter in 15 U 66/15, Beschluss vom 17. November 2016, Rn. 9
4 OLG Karlsruhe 6 U 55/16, Beschluss vom 31. Mai 2016, Rn. 27
5 OLG Mannheim 7 O 209/15, Urteil vom 1. Juli 2016, Rn. 119, 7 O 19/16, Urteil vom 17. November 2016, Rn. 86
6 OLG Düsseldorf 15 U 65/15, Beschluss vom 13. Januar 2016
7 OLG Karlsruhe 6 U 55/16, Beschluss vom 31. Mai 2016
8 so die Vorinstanz, vgl. LG Mannheim 7 O 96/14, Urteil vom 4. März 2016
9 OLG Düsseldorf 15 U 66/15, Hinweisbeschluss vom 17. November 2016.
10 Die gerichtliche Klärung dieser Frage wurde regelmäßig als problematisch angesehen, vgl. LG Mannheim 7 O 66/15, Urteil vom 29. Januar 2016, Rn. 55
11 Eine konkrete Anordnung wurde kürzlich vom 2. Zivilsenat des OLG Düsseldorf erlassen, vgl. OLG Düsseldorf 2 U 31/16, Beschluss vom 17. Januar 2017