Erste einstweilige Benutzungserlaubnis für ein AIDS-Medikament in Deutschland angeordnet
Das Bundespatentgericht hat in einem im Februar 2017 veröffentlichten Urteil erstmals in einem Eilverfahren eine einstweilige Benutzungserlaubnis gemäß § 85 des Patentgesetzes angeordnet. Demgemäß ist es Merck (USA) vorläufig gestattet, das HIV-Medikament Raltegravir, welches unter dem Markennamen Isentress® in Deutschland vertrieben wird, weiter anzubieten.
Zuvor hatte das japanische Unternehmen Shionogi & Co. Ltd. im Jahr 2015 eine einstweilige Verfügung gegenüber Merck (USA) beantragt, da der Vertrieb von Isentress® angeblich eine Verletzung des deutschen Teils seines europäischen Patents 1 422 218 (DE 602 42 459) darstellen würde. Nachdem Shionogi das Angebot von Merck (USA) für eine weltweite Lizenz zur Nutzung dieses Patents abgelehnt hatte, antwortete Merck (USA) mit der Beantragung einer Zwangslizenz und ersuchte parallel eine einstweilige Verfügung im Zwangslizenzverfahren für eine dringliche Benutzungserlaubnis gemäß § 85 des deutschen Patentgesetzes.
In dem entsprechenden Fall 3 Li 1 / 16 (EP) vor dem 3. Senat des Bundespatentgerichts ersuchen verschiedene Unternehmen der US-amerikanischen Gruppe Merck & Co. eine Zwangslizenz für das oben benannte AIDS-Medikament im Rahmen eines dringenden öffentlichen Interesses an der Sicherung der Gesundheitsversorgung.
In seinem Urteil vom 31. August 2016, welches nunmehr am 3. Februar 2017 mit einer Urteilsbegründung veröffentlicht wurde, hat das Bundespatentgericht auf eine einstweilige Benutzungserlaubnis des europäischen Patents durch Merck (USA) entschieden. Gemäß dem Urteil ist es Merck (USA) vorläufig gestattet, die bereits zuvor verteilten Formen von Raltegravir auch weiterhin als Arzneimittel Isentress® zur antiretroviralen Therapie gegen HIV-Infektionen und AIDS in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten.
Unter Berücksichtigung eines unabhängigen Gutachtens kam der 3. Senat zu dem Schluss, dass das Arzneimittel Raltegravir von bestimmten Gruppen HIV-infizierter Patienten und von AIDS-Erkrankten aus medizinischen Gründen benötigt werde. Diese Gruppen von Patienten können nicht zu anderen Arzneimitteln wechseln, ohne signifikante Gesundheitsrisiken einzugehen. Dies gilt insbesondere für Schwangere, Neugeborene, Neuinfizierte und auch für Patienten, die bereits seit vielen Jahren gegen HIV und AIDS behandelt werden.
In seiner Entscheidung ist der 3. Senat auch der Auffassung, dass unter der fortgesetzten Verwendung von Raltegravir ein mögliches Risiko von Neuinfektionen durch Dritte abnehmen würde, da durch diesen Wirkstoff eine effektivere Reduktion der HI-Viruslast zur Verfügung stehe. Darüber hinaus haben die Kläger nach Ansicht des Senats auch die übrigen Voraussetzungen einer Zwangslizenz nach § 24 Abs. 1 des deutschen Patentgesetzes vorläufig erfüllt.
Ferner wurde aufgrund einer mündlichen Verhandlung, die für den 13. September 2016 vor dem Landgericht Düsseldorf anberaumt wurde (zum Zeichen 4c O 48 / 15), die erforderliche Dringlichkeit für die Gewährung einer solchen Zwischenbenutzung nach § 85 des deutschen Patentgesetzes erfüllt. In diesem parallelen Verfahren wurde von der Patentinhaberin die Verurteilung von Merck (USA) wegen einer angeblichen Verletzung des europäischen Patents 1 432 218 durch die Vermarktung von Isentress® beantragt.
Zusammenfassend stellte das Bundespatentgericht fest, dass die vorgenannten Tatsachen die Gewährung einer vorläufigen Zwangslizenz auf der Grundlage eines dringenden öffentlichen Interesses ermöglichen würden. Eine solche Entscheidung ist für das Bundespatentgericht in Deutschland ungewöhnlich, da die deutschen Gerichte traditionell zögern, Zwangslizenzen zu erteilen. Insbesondere im Rahmen eines Eilverfahrens, wie im vorliegenden Fall. Typischerweise werden Zwangslizenzverfahren durch eine außergerichtliche Vereinbarung zwischen dem Patentinhaber und den potentiellen Lizenznehmern vor einer Entscheidung abgeschlossen.
Das Hauptverfahren von 3 Li 1 / 16 (EP) bleibt anhängig, und Shionogi kann sich gegen die oben zusammengefasste Entscheidung in der einstweiligen Verfügung beschweren.