Rückrufverpflichtung stets Teil des Unterlassungsanspruchs?
Der Bundesgerichtshof hat am 29. September 2016 (Aktenzeichen I ZB 34 / 15) in einem wettbewerbsrechtlichen Fall entschieden, dass eine Verurteilung zur Unterlassung einer fortdauernden Störungshandlung auch beinhalten kann, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren auf Dritte in Form der Geltendmachung eines Rückrufs der betreffenden Waren einzuwirken, soweit dies zur Beseitigung des Störungszustands erforderlich ist.
Die Schuldnerin war in diesem Fall durch Urteil vom 31. Januar 2013 verurteilt worden, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr als Spirituosen gekennzeichnete Produkte unter der Bezeichnung „RESCUE TROPFEN“ oder „RESCUE NIGHT SPRAY“ zu bewerben oder zu vertreiben. Der Bundesgerichtshof ist mit dem Berufungsgericht der Ansicht, dass die Schuldnerin sowohl dadurch, dass sie die Apotheken nicht zur Rückgabe der bereits an sie ausgelieferten Produkte „RESCUE TROPFEN“ und „RESCUE NIGHT SPRAY“ aufgefordert hat, als auch dadurch, dass sie die Produkte „RESCUE SPRAY“ und „RESCUE NIGHT TROPFEN“ weiter beworben und vertrieben hat, gegen ihre Unterlassungsverpflichtung aus dem vorgenannten Urteil verstoßen hat.
Zwar sei nach Ansicht des BGH die Schuldnerin nach dem Wortlaut des hier in Rede stehenden Urteilstenors lediglich zu einem Unterlassen und nicht zur Vornahme von Handlungen verpflichtet. Für die Auslegung des Vollstreckungstitels sei es allerdings ohne Bedeutung, ob den Gläubigerinnen ein solcher Rückrufanspruch sachlichrechtlich zustehe. Unter Hinweis auf und in Fortführung u.a. der Hot Sox-Entscheidung (Az. I ZR 109 / 14) ist der BGH der Auffassung, dass die Verpflichtung zur Unterlassung einer Handlung, durch die ein fortdauernder Störungszustand geschaffen wurde, regelmäßig dahin auszulegen sei, dass sie nicht nur die Unterlassung derartiger Handlungen, sondern auch die Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung des Störungszustands umfasse.
Damit erschöpft sich eine Unterlassungsverpflichtung nicht im bloßen Nichtstun, sondern umfasst auch die Vornahme von Handlungen zur Beseitigung eines zuvor geschaffenen Störungszustands, wenn allein dadurch dem Unterlassungsgebot entsprochen werden kann.
Damit hebt der BGH die im Wortlaut des § 8 Abs. 1 UWG vorgesehene Unterscheidung von Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch faktisch auf. Im Ergebnis konsequent wendet der BGH auf den Unterlassungsanspruch allerdings den eigentlich nur beim Beseitigungsanspruch geltenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz an, wonach eine Maßnahme zur Beseitigung eines Störungszustandes geboten und zum angestrebten Erfolg in einem angemessenen Verhältnis stehen muss. Diese Verhältnismäßigkeitsprüfung könne nach Ansicht des BGH allerdings auch erst im Vollstreckungsverfahren vorgenommen werden.
Die Frage, ob zusätzlich zum Unterlassungsanspruch bei bereits beendeter Verletzungshandlung, aber fortdauerndem Störungszustand die Beseitigung der Störung verlangt werden kann, wurde bisher von den Instanzgerichten unterschiedlich beurteilt. Die mit der vorliegenden Entscheidung erfolgte Klarstellung des BGH ist daher zu begrüßen. Auch ist die Entscheidung als Fortführung der neueren Entscheidungspraxis der Gerichte zu verstehen, Unterlassungsschuldnern nicht nur ein Nichtstun, d.h. Unterlassung, sondern darüber hinaus weitergehende Pflichten aufzuerlegen. So hatte das OLG Düsseldorf bereits 2015 entschieden, dass bei rechtsverletzenden Handlungen (z. B. Werbung) im Internet und entsprechender Verurteilung zur Unterlassung auch die Pflicht umfasst sei, darauf hinzuwirken, dass die streitgegenständliche Werbung aus dem Zwischenspeicher von gängigen Suchmaschinen gelöscht wird, wenn diese dort trotz der auf der eigenen Webseite erfolgten Löschung immer noch auffindbar ist (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil v. 3. September 2015, Az. I-15 U 119 / 14).
Hinweise für die Praxis
Im Ergebnis gilt daher fortan: Ist der unlautere Vertrieb oder die unlautere Bewerbung eines Produktes untersagt worden, hat der Schuldner grundsätzlich gleichwohl durch einen Rückruf gegenüber seinen Abnehmern dafür zu sorgen, dass bereits ausgelieferte Produkte von diesen nicht weiter vertrieben werden.
Auf den Unterlassungsschuldner kommen daher nicht nur unerhebliche aktive Pflichten zu, die zum einen den aktiven Rückruf entsprechender Produkte und die damit verbundenen Kosten umfassen, sondern auch eine Offenlegung der Verurteilung gegenüber den Kunden und ggf. weiteren am Vertrieb Beteiligten Dritten, was zudem einen entsprechenden Imageverlust bedeuten kann. Wir empfehlen zudem eine gründliche Dokumentation dessen, was unternommen wurde, um der Rückrufverpflichtung und ggf. der Pflicht zur Löschung des Cache bei gängigen Suchmaschinen nachzukommen, um dies im Falle der Beantragung eines Ordnungsgeltes oder der Geltendmachung einer Vertragsstrafe durch den Schuldner darlegen zu können.
Offen ist nach wie vor die Frage, inwieweit die Rückrufpflicht auch auf die sondergesetzlichen Unterlassungsansprüche, beispielsweise aus dem Marken- oder Patentrecht, übertragbar ist. Es besteht insoweit die Gefahr der Umgehung der durch die Umsetzung der Enforcement-Richtlinie in die Sondergesetze aufgenommenen Rückruftatbestände und deren spezifischer Voraussetzungen. Über die weitere Entwicklung der Rechtsprechung werden wir Sie informieren.