EuGH: Zur kartellrechtlichen Beurteilung von Lizenzverträgen über nichtig gewordene Patente
In seiner am 7. Juli 2016 ergangenen Entscheidung (Az. C-567 / 14 – Genentech / Sanofi-Aventis) hat der EuGH an seine kartellrechtliche Ottung-Rechtsprechung angeknüpft und bestätigt, dass Lizenzverträge über nichtig gewordene Patente wirksam sein können, wenn der Lizenznehmer
innerhalb einer angemessenen Frist den Lizenzvertrag kündigen kann.
Das Kartellverbot des Artikel 101 Abs. 1 AEUV wird nach der Entscheidung des EuGH nicht verletzt, wenn im Fall der Nichtigerklärung oder der Nichtverletzung eines lizenzierten Patents während der gesamten Laufzeit des Lizenzvertrages eine Gebühr für die Verwendung der patentierten Technologie zu zahlen ist, sofern der Lizenznehmer den Lizenzvertrag mit angemessener Frist kündigen kann. Daher sind Lizenzverträge, welche die Zahlung einer Lizenzgebühr für die Verwendung einer patentierten Technologie auch bei Nichtigkeit oder Nichtverletzung des lizenzierten Patents vorsehen, nicht kartellrechtswidrig, sofern zugleich eine angemessene Kündigungsfrist in dem Lizenzvertrag vorgesehen ist.
Der EuGH bestätigt auch noch einmal seine Entscheidung Ottung vom 12. Mai 1989 (320 / 87, EU: C: 1998: 195, Rn. 11 ff.), welche vorsah, dass selbst nach Ablauf der Schutzfrist für ein Patent eine Lizenzgebühr für die ausschließliche Verwendung einer Technologie verlangt werden kann, wenn der Lizenznehmer diesen Vertrag innerhalb angemessener Frist kündigen kann.
Ferner folgt aus dem Urteil Genentech / Sanofi-Aventis des EuGH auch, dass bereits für die Vergangenheit gezahlte Lizenzgebühren nicht aufgrund der (später festgestellten) Nichtigkeit eines Patents zurückgefordert werden können.
In Bezug auf Lizenzverträge, bei denen eine Zahlung auch bei Nichtverletzung des lizenzierten Patents vorgesehen ist, ist aber noch die Technologietransfergruppenfreistellungsverordnung (Verordnung (EU) Nr. 316 / 2014 der Kommission vom 21. März 2014) zu berücksichtigen. Nach Rn. 101 der Leitlinien zur Technologietransfergruppenfreistellungsverordnung liegt eine Kernbeschränkung nach Artikel 4 Abs. 1a, d der TT-GVO vor, wenn in einem Lizenzvertrag die Lizenzgebühren auf der Grundlage aller Produktverkäufe berechnet werden, unabhängig davon, ob die lizenzierte Technologie genutzt wird. Kartellrechtlich nach Art. 101 Abs. 3 AEUV zulässig kann eine derartige an allen Produktverkäufen ausgerichtete Lizenzklausel nach Rn. 102 der Leitlinien zur Technologietransfergruppenfreistellungsverordnung wiederum sein, wenn sie unerlässlich ist, weil etwa für den Lizenzgeber nicht nachprüfbar ist, in welchem Umfang seine Technologie eingesetzt wurde. Möglicherweise können derartige Vereinbarungen darüber hinaus bei angemessener Kündbarkeit des Lizenzvertrages aufgrund des Urteils EuGH Genentech / Sanofi-Aventis wirksam sein, da sie schon nicht gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßen. Rechtliche Gewissheit besteht aber letztlich nicht, so dass Vertragsklauseln, nach denen Lizenzgebühren auf der Grundlage aller Produktverkäufe berechnet werden, unabhängig davon, ob die lizenzierte Technologie genutzt wird, vermieden werden sollten.
Ungeklärt ist auch weiterhin die Situation, dass Patentlizenzen für Gebiete eingeräumt werden, in denen zu keinem Zeitpunkt Patentschutz bestand. Beispielshaft sei hier die Konstellation genannt, dass eine Patentlizenz mit Stücklizenz für ganz Europa vereinbart wird, obwohl in Lettland kein Patent besteht. Ob hier bereits eine angemessene Kündigungsfrist für das Gebiet von Lettland ausreichen würde, um eine Kartellrechtswidrigkeit zu verhindern, ist fraglich.
Unwirksam sollten Patentlizenzen aber jedenfalls dann sein, wenn den Parteien schon bei Vertragsschluss bewusst ist, dass keine wirksamen Patente bestehen (auch nicht in anderen Gebieten).