Urheberrechtsschutz und die Freiheit der Benutzung – der Warhol-Fall
Der US Supreme Court hat mit einem Urteil vom 18. Mai 2023 künstlerische Kreativität überraschend zugunsten eines weiten Urheberschutzes eingeschränkt.
Wie er damit der Wiederverwertung von Kunst Grenzen gesetzt hat, wird zunächst dargestellt. Im Anschluss zeigt der Beitrag aktuelle Ansätze der deutschen Rechtsprechung betreffend die Bearbeitung und Umgestaltung urheberrechtlich geschützter Werke auf.
Fair Use Doktrin im US-amerikanischen Recht
Der Entscheidung des obersten US-Gerichts lag ein Porträt des Musikers Prince zugrunde, das Andy Warhol anhand einer Fotografie der Klägerin Lynn Goldsmith als Siebdruck fertigte. Mit der Lizensierung von „Orange Prince“ an das Medienunternehmen Condé Nast habe die Andy Warhol Foundation die Urheberrechte der Fotografin verletzt.
Die rechtliche Fragestellung betraf die Fair Use Doktrin. Diese ist in § 107 des US-amerikanischen Urhebergesetzes geregelt. Die Norm führt vier Faktoren an, mit denen beurteilt werden soll, ob es sich um die angemessene Nutzung eines geschützten Werks handelt: (1) Zweck und Art der Nutzung; (2) Art des urheberrechtlich geschützten Werks; (3) Umfang und Wesentlichkeit des genutzten Teils im Verhältnis zum urheberrechtlich geschützten Werk als Ganzes; und (4) Auswirkung der Nutzung auf den potenziellen Markt für das urheberrechtlich geschützte Werk oder dessen Wert.
Der Supreme Court beschäftigte sich mit dem ersten Faktor. Bei diesem ist entscheidend, ob das neue Werk kommerziell oder zu gemeinnützigen Bildungszwecken genutzt wird und ob die Umgestaltung etwas Neues hinzugefügt hat, etwa einen weiterführenden Zweck oder veränderten Charakter. Nach diesen Kriterien lehnte der Gerichtshof Fair Use ab und gab somit Goldsmiths Klage statt. Entscheidend sei in erster Linie, dass Warhols Werk kommerziell genutzt worden sei. Zudem stelle das veränderte Porträt nichts grundlegend anderes und Neues dar. Es könne nicht jede leicht abgewandelte Kopie Urheberrechtsschutz genießen, da dieser andernfalls umgangen und damit ausgehöhlt würde.
Das Gericht erster Instanz hatte Fair Use noch mit dem Argument angenommen, Warhol habe den Charakter der Fotografie verändert. Denn Prince wirke auf der Fotografie verletzlich, auf dem Bild dagegen ikonisch. Das Werk sei dadurch unmittelbar als „Warhol“ identifizierbar. Dem klassischen utilitaristischen Ansatz folgt auch das Minderheitsvotum der Supreme Court Richterin Kagan. Sie befürchtet, die Mehrheitsentscheidung hemme schöpferischen Fortschritt und untergrabe kreative Freiheit.
Freie Benutzung und urheberrechtliche Schranken im deutschen Recht
In Deutschland sind aktuell zwei Ansätze für derartige Grenzfälle – zwischen Exklusivität und Zugangsfreiheit – denkbar:
Zunächst das Vorgehen des Bundesgerichtshofs: Für die Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen eines Werkes gilt nach § 23 Abs. 1 UrhG, dass nur dann die Zustimmung des Urhebers nicht erforderlich ist, wenn das neu geschaffene Werk einen hinreichenden Abstand zum benutzten Werk wahrt. Diese sogenannte freie Benutzung setzt nach der Porsche 911er-Entscheidung des BGH voraus, dass „angesichts der Eigenart des neuen Werks die entlehnten eigenpersönlichen Züge des geschützten älteren Werks verblassen.“ Verblassen in diesem Sinne liegt vor, wenn das neue Werk einen so großen Abstand hält, dass die eigenpersönlichen Züge des alten Werks zurücktreten. Die Benutzung des älteren Werks darf nur noch als Anregung zu einem neuen, selbständigen Werkschaffen erscheinen (BGH, Urteil vom 7.4.2022 – I ZR 222/20, Rn. 43). Mitunter erlaubt diese Rechtsprechung sogar die deutliche Übernahme des älteren Werks, sofern dies für die künstlerische Auseinandersetzung erforderlich ist.
Einen anderen Weg wählte kürzlich das OLG Hamburg: Die Vervielfältigung aus dem Lied „Metall auf Metall“ und ihre Überführung in ein eigenständiges neues Werk im Wege des Samplings falle unter den Begriff des Pastiches im Sinne von § 51a UrhG. Damit handelte es sich um eine gesetzlich erlaubte Nutzung (Urteil vom 28.4.2022 – 5 U 48/05). Das sich daran anschließende Revisionsverfahren (Az.: I ZR 74/22) hat der BGH ausgesetzt und die Frage dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt.
Wie man es dreht und wendet, BGH und OLG Hamburg scheinen das Mantra „Kulturelles Schaffen muss auf früheren Leistungen anderer Urheber aufbauen“ mehr als der US Supreme Court verinnerlicht zu haben. Hierzulande wäre der Warhol-Fall womöglich anders ausgegangen.