BGH Neuorientierung: Aufwertung kennzeichnungsschwacher Marken bei Verwechslungsgefahr
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) INJEKT/INJEX vom 6. Februar 2020 ist bemerkenswert und grundlegend für den jetzt erweiterten Stellenwert originär kennzeichnungsschwacher älterer Marken. Zudem bestätigt das Gericht den Umfang der rechtserhaltenden Benutzung für nicht zu breite Warenoberbegriffe des eingetragenen Warenverzeichnisses auch im Widerspruchsverfahren.
Der BGH betont – insoweit jedenfalls als dogmatische Neuorientierung und in Anlehnung an die Praxis des EuGH -, dass bei der Prüfung der Zeichenähnlichkeit im Widerspruchsverfahren beschreibende Zeichenbestandteile nicht von vornherein bei der Betrachtung der Kennzeichenähnlichkeit ausgeschlossen werden können. Auch beschreibende Zeichenbestandteile sind bei der Prüfung des Gesamteindrucks der einander gegenüberstehenden Kennzeichen zu berücksichtigen.
Injektionsspritzen INJEKT/INJEX – fehlende Verwechslungsgefahr nach Bundespatentgericht
In dem seit 2012 anhängigen Markenkonflikt zweier Pharma-Unternehmen hinsichtlich spezifischer Injektionsspritzen hatte zuletzt das Bundespatentgericht (BPatG) die Zurückweisung des Widerspruchs der Vorinstanzen hinsichtlich der älteren Wortmarken INJEKT gegen die deutsche Wortmarkeneintragung INJEX mangels Verwechslungsgefahr bestätigt. Wettbewerber könnten sich grundsätzlich mit ihren Kennzeichnungen an dieselbe beschreibende Angabe annähern. Es läge lediglich eine weit unterdurchschnittliche klangliche oder schriftbildliche Ähnlichkeit vor.
Zurückverweisung durch den Bundesgerichtshof – Berücksichtigung auch von kennzeichnungsschwachen Elementen bei Kennzeichenvergleich
Zunächst geht der BGH mit dem BPatG aufgrund des für medizinische Spritzen beschreibenden Anklangs von einer originär unterdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarken INJEKT aus. Der Austausch der Buchstaben „c“ („inject“ beschreibend für „spritzen, injizieren“) mit „k“ führt zu einer schutzbegründenden, wenn auch geringen Eigenprägung. Diese ist durch Benutzung zu durchschnittlicher Kennzeichenkraft gesteigert.
Der BGH gibt der Rechtsbeschwerde aber statt und rügt, dass eine Verwechslungsgefahr gerade nicht aufgrund fehlender ausreichender Zeichenähnlichkeit verneint werden kann. Bei der Prüfung der Zeichenähnlichkeit nach dem Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Kennzeichen dürfen beschreibende Aspekte der Zeichen nicht von vornherein und generell unberücksichtigt bleiben. Im Konkreten ist entgegen dem BPatG bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit gerade nicht nur auf die Schlusskonsonanten KT (bei INJEKT) bzw. X (bei INJEX) als die – im Vergleich zu der beschreibenden Angabe „inject“ – eigenprägenden Elementen abzustellen. Die bis auf diese Schlusskonsonanten schriftbildliche und klangliche Identität der einander gegenüberstehenden Zeichen kann bei der notwendigen Gesamtbetrachtung nicht ausgeblendet werden.
Bewertung
Bisher bestand eine – jedenfalls dogmatische – Divergenz zwischen deutscher und Rechtsprechung der EU-Gerichte bei der Bewertung der Verwechslungsgefahr angesichts schwach kennzeichnungskräftigen bzw. beschreibender Marken(bestandteile). Der BGH (etwa in der Entscheidung GRUR 2012, 1040 – pjur/pure) bemaß bereits den Schutzumfang solcher Markeneintragungen eng, nämlich beschränkt auf die Eigenprägung, d.h. auf die schutzbegründende, unterscheidungskräftige Gestaltung jenseits des beschreibenden Gehalts. Für die Zeichenähnlichkeit blieben – aufgrund der Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen dominierenden Elemente der Kollisionszeichen – beschreibende Angaben mangels bestimmenden Einflusses auf den Gesamteindruck einer Marke außer Betracht. Demgegenüber haben die EU-Gerichte (beispielsweise jüngst EuGH GRUR 2020, 52 – Hansson (Roslagspunsch/ROSLAGSÖL) Übereinstimmungen in schwach unterscheidungskräftigen oder beschreibenden Bestandteilen nicht im Voraus aus der Prüfung des Kennzeichenvergleichs ausgenommen, bei dem die Marken zunächst als Ganzes gegenüberzustellen sind. Um eine Überbewertung der Kennzeichnungskraft (gegenüber der Zeichenähnlichkeit) zu vermeiden, wird der Aspekt der schwachen Unterscheidungskraft erst in der Gesamtwürdigung der Verwechslungsgefahr anhand der Wechselwirkung einzelnen Faktoren berücksichtigt.
Der BGH ist nunmehr explizit von der – dogmatischen (durch die a priori Schutzbeschränkung)- Ausklammerung beschreibender Zeichenbestandteile bei der Prüfung der Zeichenähnlichkeit abgerückt. Er ist auf die Linie des EuGH einer grundsätzlichen Gegenüberstellung der Zeichen als Ganzes eingeschwenkt.
Dies mag in praktischer Hinsicht eine tendenzielle Aufwertung übereinstimmender kennzeichnungsschwacher bzw. beschreibender Bestandteile, gerade bei Einwortmarken, bedeuten. Ähnlichkeitsrecherchen hinsichtlich schwacher Markeneintragungen werden sicherlich herausfordernder.
Dennoch ist die Befürchtung einer pauschalen Begünstigung schwacher Marken in der Verwechslungsprüfung und indirekten Monopolisierung beschreibender Angaben vermutlich unbegründet. Unabhängig vom Verweis des BGH wie des EuGH auf die Möglichkeit der Löschung wegen absoluter Schutzhindernisse bzw. im Verletzungsverfahren auf die Schutzschranke der rein beschreibenden Verwendung, wird im Einzelfall in der Gesamtabwägung eine Verwechslungsgefahr bei Übereinstimmung nur in schwach kennzeichnungskräftigen Bestandteilen – schon mangels bestimmenden Einflusses auf den Gesamteindruck einer Marke – zu verneinen sein. Damit wird das Ergebnis der Verwechslungsprüfung über den bisherigen Ansatz des BGH über eine Beschränkung des Schutzumfangs auf die Eigenprägung nach dem neuen, „europäischen“ Ansatz voraussichtlich zumeist ähnlich ausgehen. Die zunächst offenere, breitere Betrachtung der Gesamtzeichen (einschließlich deren beschreibenden Elemente) sollte bei dem Einfluss der Bestandteile auf deren Gesamteindruck und über die Abwägung der einzelnen Faktoren (insbesondere den geringen Grad der Unterscheidungskraft) im Rahmen der Wechselwirkung „eingefangen“ werden. Trotzdem gilt: schwache Marken sind auch im rein deutschen Kontext „ernster“ und sorgfältiger unter die Lupe zu nehmen.
Klarstellung zur rechtserhaltenden Benutzung
Nicht zu vernachlässigen ist eine weitere Thematik der Entscheidung: der BGH stellt zum Schutzumfang einer im Markenverletzungs- bzw. Widerspruchsverfahren mit der Einrede der Nichtbenutzung angegriffenen älteren Marke klar, dass sich der Schutz bei einer für einen weiten Warenoberbegriff eingetragenen Marke zwar grundsätzlich auf die konkret benutzte Ware beschränkt. Damit ist aber – jenseits des konkret vertriebenen Einzelprodukts mit dessen sämtlichen individuellen Eigenschaften (vorliegend Glaubhaftmachung für „zweiteilige Einmalspritzen“) – auch Schutz für gleichartige Waren (hier die Warenkategorie „medizinische Spritzen“) gegeben. Die Gleichartigkeit ist anhand einer wirtschaftlichen Betrachtung festzustellen. Im konkreten Fall teilt der BGH das Ergebnis des BPatG einer Warenidentität zwischen der erweiterten Warenkategorie „medizinische Spritzen“ der Widerspruchsmarken mit den von der jüngeren Eintragung beanspruchten „nadellose Injektionsapparate“.
In rechtlicher Hinsicht ist insoweit die Erkenntnis zu gewinnen, dass die rechtserhaltende Benutzung im Markenverletzungs- bzw. Widerspruchsverfahren zwar nicht so weit zu ziehen ist wie im Markenlöschungsverfahren wegen Verfalls. Wegen des Erhalts der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit des Markeninhabers wirkt dort eine Benutzung für eine Spezialware rechtserhaltend auch für einen umfassenderen (nicht zu breiten) Warenoberbegriff. Im Markenverletzungsverfahren gebietet der Benutzungszwang grundsätzlich eine Behandlung der älteren Marke wie wenn diese nur für die konkret benutzten Waren eingetragen wäre. Diese engere Perspektive umfasst aber eben – etwas breiter gezogen – auch gleichartige Waren.