„Glückwunsch, das Patent wird erteilt.“ Was bei dieser guten Nachricht unbedingt zu beachten ist!
Im Rahmen der „Early-Certainty“-Initiative des EPA werden europäische Patentprüfer bei der Gestaltung des Erteilungstexts zunehmend proaktiv. Es wird eine Tendenz beobachtet, dass Prüfer Änderungen in den Anmeldungstext selbst einarbeiten, um dem Anmelder einen voraussichtlich erteilungsreifen Text vorzulegen. Wenngleich diese Prüferproaktivität grundsätzlich zu begrüßen ist, ist sie mit Vorsicht zu genießen. Auch Änderungen, die nicht anmelderseitig vorgenommen werden, sollen kritisch geprüft und hinterfragt werden. Dies gilt nicht nur für Änderungen an den Ansprüchen, sondern auch für Änderungen an der Beschreibung.
Bevor ein europäisches Patent erteilt wird, muss der Anmelder dem für die Erteilung vorgesehen Text zustimmen. Ohne die Zustimmung des Anmelders darf das Europäische Patentamt (EPA) keine Patenterteilung beschließen. Beurteilt die Prüfungsabteilung des EPA den Anmeldungsgegenstand grundsätzlich positiv, schlägt sie demnach einen nach Ihrer Auffassung erteilungsreifen Text vor, der vom Anmelder zugestimmt werden muss, damit ein darauf basiertes Patent erteilt werden kann.
Der Vorschlag der Prüfungsabteilung enthält nicht selten Änderungen gegenüber der vom Anmelder zuletzt eingereichten Textfassung der Anmeldung. Im Rahmen der „Early-Certainty“-Initiative des EPA werden Patentprüfer im Erteilungsverfahren zunehmend proaktiv. Sind die Prüfer der Auffassung, dass die Patentanmeldung noch Anpassungen bedarf, ehe sie als vollständig erteilungsreif anzusehen ist, nehmen sie immer häufiger Änderungen der Beschreibung und sogar der Ansprüche vor, die in den für die Erteilung vorgesehen Text vom Prüfer selbst vorschlagsweise eingearbeitet werden. Diese Änderungen sind im sogenannten Druckexemplar kenntlich gemacht, das Anmelder als Anlage zur Mitteilung über die beabsichtigten Erteilung eines Patents gemäß Regel 71(3) EPÜ erhalten.
Diese das Erteilungsverfahren befördernde Proaktivität der Patentprüfer werden die meisten Anmelder im Allgemeinen begrüßen dürfen. Durch die Selbstvornahme von Änderungen durch die Prüfer kann dem Anmelder ein voraussichtlich erteilungsreifer Text vorgelegt werden, wodurch eine weitere Iteration zwischen Amt und Anmelder oder sogar eine mündliche Verhandlung entfallen kann. Der Anmelder kann dann die Anmeldung auf der Grundlage des vorgeschlagenen Textes durch bloßes Zustimmen zur Erteilung bringen lassen.
Gleichwohl ist dabei zu beachten, dass das EPA keinerlei Haftung für Änderungen übernimmt, die von Patentprüfern vorgeschlagen oder in die Anmeldung eingeführt werden. Stimmt der Anmelder den vom Patentprüfer vorgeschlagenen Änderungen zu, gelten diese als vom Anmelder selbst vorgenommen. Etwaige damit einhergehende Rechtsnachteile sind demnach dem Anmelder allein zuzurechnen. Insofern müssen Druckexemplare immer sorgfältig geprüft werden. Anmelder sind gut beraten, Abweichungen im Druckexemplar gegenüber der zuletzt eingereichten Textfassung der Patentanmeldung immer patentanwaltlich prüfen zu lassen und gegebenenfalls zu hinterfragen. Dies gilt natürlich insbesondere – aber nicht nur – für Änderungen der Ansprüche. Auch Änderungen an der Beschreibung können kritisch sein und sollen nicht systematisch unterschätzt werden.
Änderungen, die von den Prüfern selbst vorgenommen werden, betreffen oft Formaländerungen an der Beschreibung, etwa um überflüssige oder unzulässige Textpassagen zu streichen, die in keinem Zusammenhang mit der Erfindung stehen.
Es wird allerdings eine zunehmende Tendenz von Prüfern beobachtet, die Beschreibung auch dahingehend zu ändern, den im Prüfungsverfahren zitierten Stand der Technik in der Beschreibung zu würdigen (wie von Regel 42(1)(b) EPÜ vorgeschrieben), und den Beschreibungsinhalt an den Gegenstand der zu erteilenden Ansprüche anzupassen (wie von Regel 42(1)(c) EPÜ vorgeschrieben). Werden beispielsweise Merkmale eines abhängigen Anspruchs in einen unabhängigen Anspruch aufgenommen, so fordert das Patentamt in der Regel, dass solche Merkmale in der Beschreibung nicht als bloße optionale oder vorzügliche Merkmale angegeben werden, sondern als Merkmale der Erfindung im weitesten Sinne. Werden in der Beschreibung Ausführungsformen erläutert, die aufgrund von Einschränkungen der unabhängigen Ansprüche nicht mehr anspruchsgemäß sind, so fordert das Patentamt, dass entweder die dazugehörigen Beschreibungspassagen gestrichen werden oder ausdrücklich angegeben wird, dass sie keine Ausführungsformen der Erfindung darstellen, sondern allenfalls erläuternde „Beispiele“ (vgl. Entscheidung T 1808/06, R. 2).
Diese auf den ersten Blick unschädlichen „Anpassungen“ der Beschreibung, die mitunter von den Patentprüfern vorgenommen werden, können sich unter Umständen als nachteilig für den Anmelder herausstellen, zumal sie den vom Patent definierten Schutzumfang beeinflussen können. Dieses Risiko ist vor dem Hintergrund der relevanten Rechtsprechung zu werten, sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene.
Würdigung vom Stand der Technik in der Beschreibung
Die Aufnahme in die Beschreibung von Angaben zu den relevanten Druckschriften des Standes der Technik, die im Laufe des Prüfungsverfahrens zitiert wurden, soll nicht allzu leichtsinnig vorgenommen werden. Selbst diese für viele als irrelevante angesehenen Angaben sollen patentanwaltlich überprüft werden, wenn sie auf Initiative des Patentprüfers in den Anmeldungstext eingeführt werden:
In der Entscheidung T 2450/17 bestätigte die technische Beschwerdekammer des EPA die Ansicht der Einspruchsabteilung, dass eine im Erteilungsverfahren vorgenommene Änderung der Beschreibung zur Würdigung eines Dokumentes des Standes der Technik eine gegen Art. 123(2) EPÜ verstoßende unzulässige Erweiterung darstellen kann, wenn die hinzugefügte Information eine erweiternde Auswirkung auf die Auslegung der Ansprüche und damit auf den Gegenstand der Anmeldung hat. Angaben zum Stand der Technik sind somit in der Lage, unzulässige Erweiterungen zu begründen, die nach der Erteilung im schlimmsten Szenario zum Widerruf des Patents führen können.
Im Urteil X ZR 16/17 vom 27.11.2018 – Scheinwerferbelüftungssystem entschied der deutsche Bundesgerichtshof, dass die Würdigung eines Dokuments des Standes der Technik in der Beschreibung für die Anspruchsauslegung maßgeblich sein kann. Ist ein unabhängiger Anspruch in der sogenannten zweiteiliger Form gefasst (d. h. mit „dadurch gekennzeichnet, dass“ in einen Oberbegriff und einen kennzeichnenden Teil geteilt) und wird in der Beschreibung die Offenbarung eines Dokumentes des Standes der Technik mit dem Oberbegriff des Anspruchs gleichgesetzt, ist den Merkmalen des kennzeichnenden Anspruchsteils im Zweifel kein Verständnis beizumessen, demzufolge diese sich in demjenigen Dokument wiederfinden. In Fällen, in denen die Begriffsauslegung dafür entscheidend sein kann, ob der beanspruchte Gegenstand von einer Druckschrift des Standes der Technik vorweggenommen wird, kann es für den Anmelder somit von Vorteil sein, den Anspruch gezielt in Bezug auf gerade jene Druckschrift in zweiteiliger Form zu fassen und in der Beschreibung ausdrücklich darauf hinzuweisen. Dies stellt für den Anmelder eine interessante Möglichkeit dar, im Ergebnis eine begriffliche Mehrdeutigkeit zu seinen Gunsten aufzuheben.
Angaben zum Stand der Technik in der Beschreibung können sich somit auf den Schutzumfang des zu erteilenden Patents positiv oder negativ auswirken. Werden solche Angaben auf Initiative eines Patentprüfers in den Anmeldungstext aufgenommen, sollen sie sorgfältig darauf geprüft werden, dass sie die Interessen des Anmelders nicht beeinträchtigen.
Anpassung der Beschreibung an den Gegenstand der zu erteilenden Ansprüche
Auch eine Anpassung der Beschreibung, die darauf abzielt, bestimmte Ausführungsformen als nicht zur beanspruchten Erfindung gehörend anzugeben, kann für den sich aus dem Patent ergebenden Schutzumfang übermäßig nachteilhaft sein. Werden solche Anpassungen prüferseitig vorgenommen, so wird immer zu prüfen sein, dass sie nicht mehr als „nicht zur Erfindung gehörend“ einstufen als streng notwendig.
Des Weiteren soll unter Umständen darauf geachtet werden, dass keine Ausführungsformen in der Beschreibung verbleiben, die als in den Äquivalenzbereich der Ansprüche eingreifend gelten sollen. Laut der geltenden Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs zur äquivalenten Verletzung gilt es, dass Ausführungsformen, die zwar in der Beschreibung offenbart werden, aber von den Ansprüchen nicht umfasst sind, aus rechtlichen Gründen vom Äquivalenzbereich der Ansprüche ausgeschlossen sind. Die Rechtsprechung geht in solchen Konstellationen grundsätzlich davon aus, dass der Anmelder eine bewusste Auswahlentscheidung gegen die nicht beanspruchten Varianten getroffen hat (BGH Urteil X ZR 76/14 vom 26.08.2016 – V-förmige Führungsanordnung, Rn 27), weshalb diese Varianten als nicht geschützt gelten sollen.
In dem zu erteilenden Text einer Patentanmeldung sollte deshalb grundsätzlich darauf geachtet werden, dass die Beschreibung keine Grundlage zur Annahme einer Auswahlentscheidung bietet, wenn dies nicht beabsichtigt ist. Um einer solchen Annahme zu entgehen, sollte vor allem darauf geachtet werden, dass in der Patentbeschreibung keine Ausführungsformen genannt werden, die nicht beansprucht werden. Es bleibt bis dato unklar, ob die Umdeutung einer ursprünglich als „Ausführungsform“ beschriebene Erfindungsvariante als „erläuterndes Beispiel“ auf Verlangen der Prüfungsabteilung der Annahme einer Auswahlentscheidung unter mehreren Ausführungsformen im Sinne der deutschen Rechtsprechung zur äquivalenten Verletzung entgegensteht, wobei dies in der Entscheidung>Pemetrexed indiziert wurde (vgl. BGH Urteil X ZR 29/15 vom 14.06.2016 – Pemetrexed, Rn. 68).
In solchen Fällen kann es mithin vorsichtshalber erwägungswert sein, ob Ausführungsformen, die als äquivalente Verletzungsform in Frage kommen, eher von dem Anmeldungstext gestrichen werden sollen, damit sie in der Patentschrift nicht genannt werden und somit im Äquivalenzbereich des zu erteilenden Patents verbleiben können. Dies dürfte insbesondere in Situationen gelten, in denen die Ausführungsformen, die auf Verlangen des Prüfers in der Beschreibung als nicht unter den Anspruch fallend angegeben werden sollten, für sich genommen womöglich patentfähig wären (vgl. BGH Urteil X ZR 29/15 vom 14.06.2016 – Pemetrexed, Rn. 67). Alternativ kann ein ausdrücklicher Hinweis in der Beschreibung empfehlenswert sein, dass die ausgeklammerten Erfindungsvarianten lediglich vom wortsinngemäßen Anspruchsschutzumfang ausgeschlossen sind (z. B. „Die Figur 1 zeigt ein Beispiel (wo früher „eine Ausführungsform.“ stand), das nicht zur Erfindung gehört, so wie sie in den Ansprüchen wörtlich definiert ist“).
Wird die Beschreibung prüferseitig an den Gegenstand der Ansprüche angepasst, sollen diese Änderungen immer sorgfältig auch darauf überprüft werden, ob sie Ausführungsformen als bloße Beispiele darstellen, die als eventuelle Äquivalenzverletzungsformen in Frage kommen. In diesen Konstellationen kann es für den Anmelder angesichts der geltenden Rechtsprechung von Vorteil sein, diese Ausführungsformen ganz zu streichen, insbesondere im Hinblick auf die Interessen des Anmelders in Deutschland. Dies ist ein weiterer Grund, warum selbst solche auf dem ersten Blick unschädliche Anpassungen der Beschreibung einer gründlichen patentanwaltlichen Prüfung zu unterziehen sind.
FAZIT:
– Änderungen, die auf Initiative der Prüfungsabteilung in den für die Erteilung vorgesehenen Text vorgenommen werden, sollen immer patentanwaltlich sorgfältig geprüft und gegebenenfalls hinterfragt werden.
– Auch Änderungen zur Beschreibung können den Schutzumfang beeinflussen. Sie sollen deshalb nicht systematisch als irrelevant angesehen werden.
– Bei Würdigung des Standes der Technik in der Beschreibung sollen wertende Aussagen vermieden werden, die sich auf die Anspruchsauslegung auswirken können.
– Es soll im Einzelfall entschieden werden, ob die zweiteilige Anspruchsfassung angebracht ist. Bei kritischen Dokumenten des Standes der Technik kann eine darauf bezogene zweiteilige Anspruchsfassung vorteilhaft sein.
– Bei der Anpassung der Beschreibung an den Anspruchsgegenstand soll darauf geachtet werden, welche Folgen die Angabe einer Ausführungsform als „nicht zur beanspruchten Erfindung gehörend“ für den Schutzumfang des Patents hat. Diese Analyse soll auch den möglichen Äquivalenzbereich der Ansprüche berücksichtigen.
Autor: Dr. Mario Araujo