Die Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (EPA) haben in letzter Zeit mehrfach Stellung zu Frage der Patentierung von grafischen Benutzerschnittstellen genommen und dabei den Bereich enger abgesteckt, im Rahmen dessen Merkmale einer grafischen Benutzerschnittstelle als technische Merkmale, und damit relevant für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit, angesehen werden können. Auch wenn dieser Bereich ein Graubereich bleibt, so zeichnet sich doch ein genereller Trend beim EPA ab, der durchaus Parallelen zu jüngsten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs aufweist.
Grafische Benutzerschnittstellen sind zum ständigen Begleiter des Menschen in vielerlei Anwendungsgebieten geworden: Mobiltelefone, medizinische Geräte bis hin zu Maschinen in industriellen Prozessen stellen solche Anwendungsgebiete dar. Dies regt natürlich Interesse an einem patentrechtlichen Schutz für grafische Benutzerschnittstellen an.
Die gängige Praxis am EPA erfordert, dass ein beanspruchter Gegenstand ein technisches Problem mit technischen Mitteln auf nicht naheliegende Art und Weise lösen muss, um patentiert zu werden. Nach Art. 52 (2) EPÜ und der etablierten Praxis des EPAs, gelten jedoch die Wiedergabe von Informationen, ästhetische Formschöpfungen, Programme für Datenverarbeitungsanlagen und geschäftliche Tätigkeiten als solches als nicht technisch. Hinsichtlich der Patentierbarkeit von Benutzerschnittstellen bedeutet dies, dass Merkmale eines Patentanspruchs, die die grafische Darstellung der Benutzeroberfläche oder Informationen betreffen, die mittels der Benutzerschnittstelle dem Benutzer angezeigt werden, unter Umständen als nicht-technische Merkmale zu werten sind, die gemäß dem Prüfungsansatz der hinlänglich bekannten COMVIK Entscheidung T 641/00 des EPA nicht zur erfinderischen Tätigkeit beitragen können.
Bei der Betrachtung von grafischen Benutzerschnittstellen stellt sich somit im besonderen Maße die Frage, welche Kriterien ein Merkmal einer grafischen Benutzerschnittstelle erfüllen muss, um als technisches Merkmal zu gelten und dadurch das Vorliegen einer erfinderische Tätigkeit stützen zu können. Die Beschwerdekammern des EPAs haben zur Frage der Patentierung von grafischen Benutzerschnittstellen in letzter Zeit mehrfach Stellung genommen und dabei Kriterien herausgearbeitet, die eine Beurteilung ermöglichen sollen, welche Merkmale einer grafischen Benutzerschnittstelle (wenn überhaupt) als „technische Merkmale“ im Sinne der Rechtsprechung der Beschwerdekammern angesehen werden können.
Der Mensch denkt mit
Einige der in der Rechtsprechung des EPA angeführten Kriterien betreffen die Frage, inwieweit mentale Aktivitäten des Benutzers der Patentierung von grafischen Benutzerschnittstellen entgegenstehen.
Ein Merkmal einer grafischen Benutzerschnittstelle, dessen Wirkung allein darauf zurückzuführen ist, dass die kognitive Last des Benutzers reduziert wird, zum Beispiel indem der Benutzer die dargestellten Informationen kognitiv besser verarbeiten kann und somit eine folgende Eingabe schneller tätigen kann, wurde in mehreren Beschwerdekammerentscheidungen als nicht-technisches Merkmal eingestuft (siehe Entscheidungen T 1143/06, T 1741/08, T 1670/07 des EPA). Diese Entscheidungspraxis hat auch zu einer Änderung der Prüfungsrichtlinien des EPA geführt (siehe Abschnitt G-II, 3.7 der Prüfungsrichtlinien des EPA). Die genannten Entscheidungen begründen die von den Beschwerdekammern vertretene sogenannte „broken technical chain fallacy“, die auf dem Gedanken beruht, dass im Falle eines verbesserten Layouts zur Reduktion der kognitiven Last des Benutzers, bzw. der schnelleren oder genaueren Reaktion des Benutzers mittels einer Eingabe, die geistige Tätigkeit des Benutzers vorgeschaltet ist und damit die „technische Kette“ von ablaufenden Schritten – beginnend mit der Anzeige und endend mit dem Empfang der Eingabe – unterbricht. Eine möglicherweise mit der verbesserten Eingabe zusammenhängende technische Wirkung hängt nach der Auffassung der Beschwerdekammern somit von einer rein mentalen Aktivität des Benutzers ab, die darüber hinaus je nach Benutzer auch unterschiedlich ausfallen könne. Im Ergebnis sei das Erreichen des angeblichen technischen Ziels eine rein subjektive Betrachtungsweise, so dass die Definition einer Benutzerschnittstelle mit dem (subjektiven) Zweck, die kognitive Last des Benutzers zu reduzieren, nicht als technisches Merkmal aufgefasst werden kann.
Auf der anderen Seite wurde in mehreren Entscheidungen und den Prüfungsrichtlinien klargestellt, dass die alleinige Tatsache, dass der beanspruchte Gegenstand mentale Aktivitäten umfasst, nicht automatisch bedeutet, dass der Gegenstand nicht technisch ist (T 643/00). Interessanterweise scheinen einzelne Beschwerdekammern in aktuelleren Entscheidungen anzudeuten, dass die Beanspruchung einer intuitiveren Benutzerschnittstelle, die den Benutzer in der Bedienung der Benutzerschnittstelle unterstützt, eine technische Wirkung haben kann (T 1958/13, Nr. 2.2.5 mit Verweis auf T 643/00; T 1715/11, Nr. 2.3).
Den Mensch durch die Benutzerschnittstelle an die Hand nehmen
Eine weitere in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern adressierte Frage ist, inwieweit die Natur bzw. der Inhalt der dargestellten Information eine Rolle bei der Beurteilung der Technizität der Benutzerschnittstelle bzw. der dort angezeigten Informationen spielt. Diese Fragestellung widmete sich kürzlich die Entscheidung T 336/14 (Gambro Lundia AB vs. Fresenius Medical Care Deutschland). In der Entscheidung ging es um ein Einspruchsbeschwerdeverfahren, das sich mit einem Patent befasste, dessen patentierter Gegenstand eine Benutzerschnittstelle für eine Dialysemaschine war. Die Benutzerschnittstelle unterschied sich dabei vom Stand der Technik dadurch, dass gespeicherte und auf einem Bildschirm dargestellte Daten (i) Bedienungsvorschriften zum Aktivieren der Dialysemaschine umfassen und (ii) auf dem Bildschirm zwei Piktogramme bei Aktivierung von zwei berührungsempfindlichen Schaltern, die neben den Bedienungsvorschriften angezeigt sind, dargestellt werden, wobei die Piktogramme Konfigurationen der Dialysemaschine repräsentieren, die mit den Bedienungsvorschriften korrelieren (T 336/14 Nr. 1).
In ihrer Entscheidung wendete die Beschwerdekammer 3.5.05 in der Entscheidung T 336/14 ein spezielles Prüfungsschema an.
Als erstes ging die Beschwerdekammer der Frage nach, ob es sich bei den dargestellten Daten um so genannte „funktionelle Daten“ oder um „kognitive Daten“ handelt. Funktionelle Daten sind solche, die inhärent die technischen Merkmale des zugrunde liegenden Systems aufweisen, wie zum Beispiel Informationen für die Synchronisation codierter Bildzeilen (Zeilennummern und Adressen) für eine entsprechende Lesevorrichtung (T 1194/97) oder ein Fernsehsignal, welches Informationen wiedergibt, die die technische Merkmale des Fernsehsystems aufweisen (T 163/85). Im Unterschied dazu, richten sich kognitive Daten direkt an den Benutzer (der Benutzerschnittstelle) und sind nur für diesen von Bedeutung.
Im Fall solcher kognitiven Daten, sei dann als zweites die Frage zu beantworten, ob es sich bei den relevanten Merkmalen um das „wie“ der Darstellung oder um das „was“ der Darstellung handelt, also um den Inhalt der dargestellten Informationen. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Patent ging es um kognitive Daten und deren Inhalt (also die Frage, „was“ angezeigt wird).
Im Folgenden konzentriert sich dieser Artikel auf die Beurteilung der Technizität von Merkmalen, die sich auf die Darstellung von kognitiven Inhalten, also „was“ angezeigt wird, beziehen. Bei der Beurteilung, ob der dargestellte kognitive Inhalt als technisches Merkmal zu werten ist, stellte die Beschwerdekammer darauf ab, ob die Benutzerschnittstelle und der Inhalt der dargestellten Informationen dem Benutzer auf glaubhafte Art und Weise bei der Durchführung einer technischen Handlung mittels eines kontinuierlichen oder geführten Mensch-Maschine Interaktionsprozesses unterstützt. Insbesondere ginge es dabei um die Beantwortung der Frage „warum“, also „für welchen Zweck“, die Informationen dargestellt werden (T 336/14 Nr. 1.2.4).
In anderen Worten war laut Beschwerdekammer zur Beantwortung der Frage, ob der dargestellte kognitive Inhalt als technisches Merkmal zu werten ist, zu prüfen, ob die dargestellten Informationen „technische Informationen“ seien, die glaubhaft den Benutzer in die Lage versetzen das zugrunde liegende technische System ordnungsgemäß zu bedienen und dadurch eine technische Wirkung entfalten. Insbesondere sei relevant zu prüfen, ob die dargestellten kognitiven Informationen einen internen Maschinenzustand enthalten und den Benutzer auffordern mit der Maschine auf kontinuierliche oder geführte Art und Weise zu interagieren, um die ordnungsgemäße Funktion der Maschine zu ermöglichen (T 336/14 Nr. 1.2.4).
Ferner weist die Beschwerdekammer 3.5.05 in ihrer Entscheidung T 336/14 unter Verweis auf die oben genannte Entscheidung T 1741/08 darauf hin, dass nicht alles, was eine technische Handlung unterstützt bzw. unterstützen kann, dadurch selbst einen technischen Charakter aufweist. Insbesondere führe eine Handlung, die möglicherweise durch einen Benutzer in Reaktion auf eine dargestellte Information bezüglich der technischen Funktionsweise des zugrunde liegenden Systems ausgeführt werden könnte, nicht dazu, dass die dargestellte Information eine „technische Information“ sei. Mit dieser Feststellung streift die Entscheidung einen anderen Aspekt der erfinderischen Tätigkeit, nämlich das Erfordernis, dass alle Ausführungsformen die unter den beanspruchten Gegenstand fallen kausal, oder zumindest glaubhaft, die zu lösende technische Aufgabe lösen müssen (G 1/03 Nr. 2.5.2, T 1078/08, T 1019/10, T 5/06, T 380/05, T 929/92, T 668/94). Dies wurde auch kürzlich wieder durch die Beschwerdekammern des EPA bestätigt (T 2001/12, T 862/11).
Wie bereits angedeutet, ging es in der Entscheidung T 336/14 um die Frage, ob der dargestellte kognitive Inhalts als technisches Merkmal zu werten ist, wobei die Beschwerdekammer darauf abstellte, „warum“, also „für welchen Zweck“, die Bedienungsvorschriften zum Aktivieren der Dialysemaschine zusammen mit zwei als berührempfindlichen Schalter wirkenden und inhaltlich mit den Bedienvorschriften zusammenhängenden Piktogrammen auf der Benutzerschnittstelle der Dialysemaschine dargestellt werden. In dem Patent ging es darum, eine Krankenschwester mittels Darstellung der Bedienungsvorschriften und der Piktogramme darin zu unterstützen, die Dialysemaschine auf sichere und effiziente Art und Weise in Gang zu setzen. Die Beschwerdekammer befand jedoch, dass die Aktivierung der Schalter gemäß Patentanspruch nicht zwingend die Veränderung eines internen Zustands der Dialysemaschine bewirke und die dargestellten Piktogramme auch keine Details eines gegenwärtigen Systemzustands enthielten. Der Patentanspruch enthielte zudem nicht einmal eine Reihenfolge in der die Schalter bzw. Bedienungsvorschriften verwendet werden müssten, um ein ordnungsgemäßes in Gang setzen zu garantieren.
Folglich gelangte die Beschwerdekammer zu dem Ergebnis, dass die beanspruchten Bedienungsvorschriften und Piktogramme nicht glaubhaft oder kausal eine Unterstützung des Benutzers im Sinne einer kontinuierlichen oder geführten Mensch-Maschine Interaktion bereitstellen. Insbesondere fand die Beschwerdekammer, dass die dargestellten Informationen, wenn überhaupt, dem Benutzer nur dabei helfen könnten, die durchzuführenden Schritte zum in Gang setzen der Dialysemaschine besser zu verstehen oder sich besser zu merken und würden damit nur den Geist des Benutzers adressieren.
Folglich betreffen die Unterscheidungsmerkmale des Hauptantrags die Wiedergabe von Informationen als solches, welche gemäß der ständigen Besprechung der Beschwerdekammern das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht stützen könnten.
In einem Hilfsantrag wurde zusätzlich als Unterscheidungsmerkmale aufgenommen, dass ein Teil der Anzeige verändert wird, wenn eine der Bedienungsvorschriften durchgeführt wird. Im Kern geht es dabei darum dem Benutzer eine visuelle Rückmeldung zu geben, wenn der Benutzer der Dialysemaschine dafür sorgt, dass eine der dargestellten Bedienungsvorschriften durchgeführt werden (T 336/14 Nr. 3). Die Beschwerdekammer gestand zu, dass diese visuelle Rückmeldung über die Durchführung einer der Bedienvorschriften einen internen Maschinenzustand betreffen und eine „technische Information“ darstellen würde. Jedoch betonte die Beschwerdekammer, dass dieses Unterscheidungsmerkmal (bzw. der Patentanspruch insgesamt) nicht zwingendermaßen erfordern würde, dass die Durchführung der Bedienungsvorschriften erfolgreich gewesen sein muss, um die visuelle Rückmeldung auszulösen. Vielmehr würde lediglich die Aktivierung einer beliebigen Bedienungsvorschrift visuell indiziert. Ob und wie, also mit welchem Erfolg, die aktivierte Bedienungsvorschrift von der Dialysemaschine durchgeführt wird, ließ der Patentanspruch offen, sodass eine ordnungsgemäße Funktion der Dialysemaschine durch die beanspruchte grafische Benutzerschnittstelle nicht notwendigerweise sichergestellt würde. Das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit wurde deshalb von der Beschwerdekammer auch für den Hilfsantrag verneint.
Die Beschwerdekammer betonte in dem Leitsatz der Entscheidung, dass für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit eines beanspruchten Gegenstandes, welcher technische und nicht-technische Merkmale umfasst und im welchen die auf der grafischen Benutzerschnittstelle dargestellten kognitiven Informationen den Inhalt der Informationen und nicht die Art und Weise der Darstellung betreffen, zu prüfen ist, ob die grafische Benutzerschnittstelle, zusammen mit den dargestellten Inhalten, auf glaubhafte Art und Weise dem Benutzer bei der Durchführung einer technischen Handlung mittels eines kontinuierlichen oder geführten Mensch-Maschine Interaktionsprozesses unterstützt. Für die Beurteilung dieser Frage sei dabei auch auf das „warum“, also „den Zweck“ der grafischen Darstellung, abzustellen.
Diese Entscheidung stellt somit heraus, dass Merkmale einer grafischen Benutzerschnittstelle das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit dann stützen können, wenn sie kausal, oder zumindest hinreichend glaubhaft, dem technischen Zweck dienen, eine ordnungsgemäße Benutzung der zugrunde liegenden Maschine durch den Benutzer zu gewährleisten.
In ähnlicher Art und Weise entschied zuvor dieselbe Beschwerdekammer 3.5.05 in T 407/11. Darin befand die Beschwerdekammer, dass für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nur die technischen Wirkungen, die direkt und kausal von dem beanspruchten Unterscheidungsmerkmal ableitbar sind, relevant sind (T 407/11 Nr. 2.1.4). Ferner befand die Beschwerdekammer in der Entscheidung, dass eine technische Wirkung darin gesehen werden kann, wenn in einem datenverarbeitenden elektronischen System verhindert wird, dass eine vom Benutzer aufgerufene Funktion aufgrund dessen Verschulden entweder gar nicht oder nur in unerwünschter Weise vom System ausgeführt wird (T 407/11, Nr. 2.1.4, 2.1.5). Interessanterweise betonte die Beschwerdekammer in dem Orientierungssatz zudem, dass der zugehörige Fachmann im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Bedienungshilfestellungen mittels einer Benutzeroberfläche eines Computersystems kein Experte der Softwareprogrammierung oder der Computertechnik im engeren Sinn sei, sondern vielmehr ein Fachmann der Benutzerfreundlichkeit auf dem Gebiet der Mensch-Maschine-Schnittstelle bzw. der Software-Ergonomie.
In Folge von T 336/14 entschied in T 690/11 die Beschwerdekammer 3.2.02, dass die Kriterien der T 336/14 der etablierten Linie der Rechtsprechung der Beschwerdekammern folgen würde. In dem konkreten Fall befand die Beschwerdekammer 3.2.02, dass Merkmale einer grafischen Benutzerschnittstelle, die darauf gerichtet sind, dass der Benutzer eine Eingabe tätigt und damit einen internen Prozess des zugrunde liegenden Systems auslöst, und die grafische Benutzerschnittstelle den Verlauf dieses Prozesses grafisch darstellt, technischen Charakter aufweisen (T 690/11, Nr. 3).
Ebenfalls zeitlich nach der T 336/14 entschied die Beschwerdekammer 3.5.05 in T 1073/13 erneut, dass Unterscheidungsmerkmale, welche kognitive Inhalte grafisch darstellen und lediglich die Wirkung haben, dass der Benutzer eine spezielle Sequenz für eine Konfigurierung vor der Durchführung der Konfigurierung sich nicht merken muss, nicht technisch sei. Die Beschwerdekammer fordert darin wiederum eine glaubhafte Unterstützung des Benutzers bei der Durchführung der Konfigurierung des zugrunde liegenden Systems, zum Beispiel durch Anzeigen des gegenwärtigen Zustands des Systems im Rahmen eines kontinuierlichen oder geführten Mensch-Maschine Interaktionsprozesses (T 1073/13, Nr. 1.1.6).
Die Entscheidung T 1715/11 der Beschwerdekammer 3.2.04, die jedoch vor der Entscheidung T 336/14 der Beschwerdekammer 3.5.05 erging, thematisiert den strengen glaubhaften oder kausalen Zusammenhang zwischen der grafischen Darstellung von Informationen und dem Erreichen des technischen Erfolgs nicht, weist jedoch darauf hin, dass das Layout der grafischen Benutzerschnittstelle dann eine technische Wirkung aufweise, wenn es Fehler des Benutzers in der Kommunikation mit der zugrunde liegenden Maschine reduziert und damit die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine unterstützt (T 1715/11, Nr. 3.2, 3.7).
Parallelen zur BGH Rechtsprechung
Der oben geschilderte Trend der Beschwerdekammer des EPAs scheint im Einklang mit der jüngsten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) (BGH X ZR 110/13 – Entsperrbild) zum Thema grafischer Benutzerschnittstellen zu stehen. Darin führt der Bundesgerichtshof aus, dass bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit Anweisungen, die die Vermittlung bestimmter Inhalte betreffen und damit darauf zielen, auf die menschliche Vorstellung oder Verstandesfähigkeit einzuwirken, als solches außer Betracht bleiben.
In dem dem Urteil des BGH zugrunde liegenden Sachverhalt ging es um einen „swipe to unlock“ Mechanismus für Mobiltelefone. Das erfindungsgemäße Verfahren war dabei dadurch gekennzeichnet, dass der Benutzer das Gerät durch eine vorgegebene Fingerbewegung über eine berührungsempfindliche Bildschirmoberfläche entsperren kann, während das Gerät gesperrt bleibt, wenn die Bewegung nicht den gespeicherten Vorgaben entspricht. Der Kontaktbewegung entspricht ein ebenfalls vorgegebener Pfad, auf dem sich ein Sperrbild im Einklang mit dem Kontakt auf dem Bildschirm bewegt. Der BGH befand, dass mit der Vorgabe, ein Entsperrbild im Einklang mit dem Kontakt entlang eines vorgegebenen angezeigten Pfad auf dem Bildschirm zu bewegen, dem Benutzer die Steuerungsbewegung zur Entsperrung von Funktionen des Geräts, die der Benutzer dadurch vollzieht, dass der Benutzer eine bestimmte Bewegung auf dem berührungsempfindlichen Bildschirm ausführt, dadurch optisch anzuzeigen, dass ein auf dem Bildschirm angezeigte Symbol seinerseits eine Korrespondenzbewegung ausführt. Der Patentanspruch lehre damit, dem Nutzer optisch anzuzeigen, dass er dem Rechner mit der Bewegung ein Befehl gegeben hat, der die Entsperrung bewirken kann, und sie tatsächlich bewirkt, wenn die Bewegung des Benutzers den Anforderungen an die vorgegebene Bewegung entspricht. Der in der Fingerbewegung liegende Steuerbefehl soll mit anderen Worten nicht nur die Entsperrung, sondern auch einen den Befehl und den Fortgang seiner Ausführung symbolisierende Anzeige auslösen. Dies sei eine technische Lösung des technischen Problems, dem Benutzer den Sperrvorgang optisch kenntlich zu machen und damit die Bedienungssicherheit zu erhöhen.
Damit wird – ganz im Sinne einer kontinuierlichen und geführten Mensch-Maschine Interaktion, wie von den Beschwerdekammern des EPAs gefordert – der Mensch durch die Benutzeroberfläche der Maschine während des Entsperrvorgangs an die Hand genommen und der Stand des Sperrvorgangs optisch angezeigt.
Fazit
Eine Reihe von teils älteren, aber bisher akzeptierten Entscheidungen, sehen in dem bloßen Darstellen von internen Maschinenzuständen eine technische Wirkung (T 115/85, T 362/90, T 599/93 Nr. 4, T 1073/06 Nr. 5.4, T 756/06 Nr. 13, T 1670/07 Nr. 12, 13; siehe auch EPA RL 2015, G-II, 3.7, 3.7.1). Die neuere Entscheidung T 336/14 scheint jedoch bei der Einordnung einer dargestellten kognitiven Information als „technische Information“ nicht mehr alleine auf die „Natur“ der Information abzustellen, also zum Beispiel, ob die dargestellte Information einen internen technischen Systemzustand betrifft. Vielmehr ist auf den „Zweck“ der dargestellten Information im Kontext des Patentanspruchs abzustellen. Ein technischer Zweck muss sich kausal, oder zumindest hinreichend glaubhaft, aus diesem Kontext ergeben.
Insofern indizieren die neueren Entscheidungen der Kammern 3.5.05 und 3.2.02 womöglich eine weitere Verschärfung der Kriterien, die eine mittels einer Benutzerschnittstelle dargestellte kognitive Information erfüllen muss, um als technisches Merkmal zu gelten und damit für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit relevant zu sein.