Verleger vs. Google – Prof. Dr. Jan Bernd Nordemann im Interview mit der NJW
Sie werden wohl keine Freunde, Deutschlands Verleger und Google. Im Februar traf man sich vor dem LG Berlin. Marktmissbrauch, so lautete der Vorwurf von 41 Verlegern gegenüber dem Suchmaschinenbetreiber. Am Ende zogen sie den Kürzeren – und das, obwohl ihnen der Gesetzgeber vor drei Jahren ein Leistungsschutzrecht zur Seite gestellt hat. Doch wie effektiv ist dieses Recht, wenn auf der anderen Seite ein übermächtiger Suchmaschinenbetreiber steht, der den Verlegern quasi seine Bedingungen für die Nutzung ihrer journalistischen Inhalte diktiert? Das wollte die NJW von Prof. Dr. Jan Bernd Nordemann, Fachanwalt unter anderem für Urheber- und Medienrecht, wissen, der kleinen und mittleren Verlagen im Hinblick auf das Verfahren vor dem LG Berlin als Gutachter zur Seite stand.
NJW: Herr Prof. Nordemann, seit knapp drei Jahren steht den Presseverlagen ein Leistungsschutzrecht zu. Welchen Inhalt hat dieses Recht?
Nordemann: Das Leistungsschutzrecht gibt Presseverlagen das ausschließliche Recht, über die sogenannte öffentliche Zugänglichmachung der von ihnen hergestellten Presseinhalte zu bestimmen. Das betrifft vor allem eine Nutzung der Presseinhalte im Internet. Speziell im Fokus des Gesetzgebers waren Aggregatoren von News-Inhalten, insbesondere Internetsuchmaschinen. Internetsuchmaschinen machen Presseinhalte regelmäßig im Internet öffentlich zugänglich, wenn sie die Presseinhalte in ihren Suchergebnissen zumindest in Form von Textausschnitten oder in Form von Thumbnails zugänglich machen. Ausnahmen gelten nur dann, wenn „einzelne Wörter“ oder „kleinste Textausschnitte“ genutzt werden, dann greift das Leistungsschutzrecht nicht. Was das genau ist, ist unter uns Juristen noch umstritten. Die Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt hat im September 2015 in einer ersten Grundsatzentscheidung die Auffassung vertreten, diese Grenze liege bei sieben Wörtern. Folgt man dieser Auffassung, sind beispielsweise die Suchergebnisse bei Google vom Leistungsschutzrecht umfasst, so dass Google eine Nutzungserlaubnis benötigt, insbesondere wenn es um die ganz übliche Darstellung von Textausschnitten und Thumbnails in den Google-Suchergebnissen geht.
NJW: Weshalb benötigen Verlage neben dem Urheberrecht noch ein zusätzliches Schutzrecht?
Nordemann: Die Digitalisierung führt zu großen Umwälzungen in der Medienbranche. Ein schönes Beispiel sind die Presseverleger. In der digitalen Welt ändert sich ihr traditionelles Geschäftsmodell. Es sind neue Möglichkeiten der Nutzung, Verwertung und Monetarisierung von Presseinhalten entstanden. Der deutsche Gesetzgeber wollte mit Einführung des Leistungsschutzrechts die Presseverleger vor systematischen und kostenlosen Zugriffen auf die verlegerische Leistung insbesondere durch Suchmaschinen schützen. Das Urheberrecht springt hier möglicherweise kürzer: Folgt man der Auffassung der Schiedsstelle, sind beispielsweise über das Leistungsschutzrecht sämtliche Presseinhalte geschützt, die nicht unter die „sieben-Wörter-Grenze“ fallen. Beim Urheberrecht ist die Feststellung des Schutzes sehr viel komplexer: Es kann hier nicht von einer klaren quantitativen Grenze ausgegangen werden, sondern die Grenze verläuft qualitativ bei § 2 Abs. 2 UrhG. Nur persönlich-geistige Schöpfungen sind als Text urheberrechtlich geschützt. Der EuGH hat einmal in der Infopaq-Entscheidung gesagt, dass auch elf Wörter urheberrechtlich geschützt sein können. Aber das ist eben nur eine Kann-Bestimmung, die auch davon abhängt, ob diese elf Wörter eine persönlich-geistige Schöpfung darstellen. Mit dem Leistungsschutzrecht ist also eine sehr viel verlässlichere Grenze gezogen, ab wann die Nutzung beginnt, so dass das Leistungsschutzecht auch viel besser massenhaft monetarisierbar ist, zum Beispiel über eine Verwertungsgesellschaft.
NJW: Trotzdem haben Deutschlands Verleger jüngst ein Verfahren gegen Google verloren, bei dem auch um dieses Leistungsschutzrecht gestritten wurde. Um was ging es da genau?
Nordemann: Die Durchsetzung des Leistungsschutzrechts für die Presseverleger gestaltet sich eher schwierig. Viele Presseverleger haben ihre Rechte in die Verwertungsgesellschaft VG Media eingebracht. Die VG Media hat Tarife festgesetzt für die Nutzung der Leistungsschutzrechte im Bereich der digitalen Medien, insbesondere durch Suchmaschinen. Diese Tarife wurden dann von der Schiedsstelle überprüft, diese Entscheidung hatte ich bereits oben erwähnt. Da Google offenbar – durch die Schiedsstelle später bestätigt – zutreffender Weise davon ausging, dass bei Fortführung der bisherigen Suchanzeige eine relevante Nutzung des Leistungsschutzrechts erfolgt und deshalb eine Entgeltpflicht gegenüber der VG Media entstehen wird, wandte sich Google an die Presseverleger als originäre Rechteinhaber. Google verlangte zunächst von den VG Media-Presseverlegern zu erklären, dass sie damit einverstanden sind, ihre Inhalte in Google-News unentgeltlich zu nehmen (sog. „Opt-In-System Stufe 1“). Dieses System verfolgte Google aber offenbar nicht weiter. Vielmehr versandte Google später weitere Schreiben an die VG Media-Presseverlage und forderte diese auf, sich mit einer kostenlosen öffentlichen Zugänglichmachung von Snippets und Vorschaubildern in den Google-Suchergebnissen einverstanden zu erklären. Für den Fall der fehlenden Einwilligung kündigte Google an, die Inhalte der Presseverleger zwar nicht aus den Suchergebnissen komplett auszulisten, aber immerhin auf die Wiedergabe von Snippets und Vorschaubildern komplett zu verzichten (sog. „Opt-In-System Stufe 2“), während die Inhalte anderer Presseverleger weiterhin unverändert mit Snippets und Vorschaubildern in den Suchergebnissen angezeigt werden sollten. Wegen der dadurch drohenden gravierenden Traffic-Verluste erklärten sich letztlich alle Presseverleger, die über die VG Media ihr Leistungsschutzrecht wahrnehmen lassen, nicht nur mit dem „Opt-In-System Stufe 1“, sondern auch mit dem „Opt-In-System Stufe 2“ einverstanden.
NJW: Weshalb haben die Verlage den Weg über das Kartellrecht gewählt?
Nordemann: Das ist auch nach meiner Meinung der zutreffende Rechtsbehelf. Google konnte gegenüber den Verlagen doch nur deshalb die kostenlose Einwilligung in die Nutzung des Leistungsschutzrechts durchsetzen, weil Google in einer marktbeherrschenden Position ist. Für den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung sieht das Kartellrecht aber Ansprüche vor, insbesondere Unterlassungsansprüche, wie sie im Gerichtsverfahren jetzt auch geltend gemacht werden. Andere Anspruchsgrundlagen sehe ich derzeit nicht, Suchmaschinen unterliegen insbesondere keiner besonderen urheberrechtlichen Marktmachtregulierung.
NJW: Haben sich die Verlage nicht widersprüchlich verhalten, wenn sie auf der einen Seite Google das Recht zur Gratisnutzung ihrer Inhalte einräumen und dann dem Unternehmen per Unterlassungsklage den Missbrauch von Marktmacht verbieten wollen?
Nordemann: Einen solchen Widerspruch sehe ich nicht. Google vereinigt über 90% aller Suchanfragen in Deutschland auf sich, ist also eindeutig marktbeherrschend bei Suchanfragen in Deutschland. Eine solche Marktbeherrschung wird vom deutschen GWB (§ 18 Abs. 4 GWB) schon ab einem Marktanteil von 40% vermutet, Google liegt bei mehr als dem Doppelten. Man kann hier schon von einem quasi-Monopol auf Suchanfragen sprechen. Das quasi-Monopol bei der Suche vermittelt dann auch eine Marktbeherrschung auf den anderen betroffenen Märkten, insbesondere eine Marktbeherrschung auf dem relevanten Markt für die Buchung von suchbezogener Werbung und auf dem sogenannten Indexierungsmarkt, also dem Markt, auf dem Google die Listung von Webseiten für seine Suchmaschine nachfragt. Auf diesem Indexierungsmarkt trifft Google auf die Presseverleger, die Nutzungserlaubnisse an Google geben.
Wenn Sie nun mit Google einen unverzichtbaren Marktpartner haben und er Ihnen damit droht, Sie nur noch eingeschränkt bei sich zu listen, ist es meines Erachtens ohne Weiteres verständlich, diesem Verlangen nachzugehen. Das bedeutet aber nicht, dass das Verlangen auch rechtmäßig ist. Genau das kann man durch das Kartellrecht überprüfen lassen.
NJW: Das Gericht sieht keinen Marktmissbrauch durch Google. Überzeugt Sie das?
Nordemann: Das Landgericht hat in der Tat ein überwiegendes Interesse von Google angenommen, sein Geschäftsmodell weiter zu betreiben, in dem für eine Zahlung für die Nutzung von Presseinhalten kein Platz ist. Das ausbalancierte System, auf dessen Grundlage Suchmaschinen arbeiten, werde durch die Zahlung einer Vergütung an Presseverleger für die Indexierung von Presseinhalten aus dem Gleichgewicht gebracht.
Das mag beim ersten Hinsehen als plausibel erscheinen, bei einem zweiten Blick kann das allerdings nicht mehr überzeugen. Das Interesse Googles, sein Geschäftsmodell der Unentgeltlichkeit der Indexierung von Websites fortzusetzen, wird jetzt durch die Entscheidung des Gesetzgebers durchbrochen, diese Indexierung grundsätzlich nur mit der Zustimmung des Inhabers des Leistungsschutzrechts zu erlauben. Diese grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers muss bei der Feststellung des Missbrauchs von Marktmacht sehr erhebliches Gewicht haben. Egal, wie umstritten das Leistungsschutzrecht politisch war und wie man politisch dazu steht: Der Gesetzgeber hat es mit dem klaren Ziel eingeführt, den Presseverlegern eine Monetarisierung der Suchmaschinennutzung zu ermöglichen. Der Gesetzgeber hat also durch die Einführung des Leistungsschutzrechts der entgeltfreien Anzeige von Presseinhalten in Suchmaschinen gerade eine Absage erteilt.
Nun könnte man Google meines Erachtens nicht verwehren, die geschäftliche Entscheidung zu treffen, überhaupt keine Presseinhalte mehr in der Suche anzuzeigen bzw. die Anzeige so zu reduzieren, dass die Anzeige nicht mehr unter das Leistungsschutzrecht fällt. Nicht zulässig ist nach meiner Auffassung jedoch, dass Google die Verlage zu einer kostenlosen Nutzungserlaubnis zwingt. Das ist nämlich gerade nicht im Interesse des Wettbewerbs, der sogenannten Offenhaltung der Märkte, die stets ein ganz entscheidendes Abwägungskriterium zur Feststellung des Missbrauchs von Marktmacht ist. Mit der Erzwingung der kostenlosen Nutzungserlaubnis nimmt Google nämlich seinen Konkurrenten die Möglichkeit, das Leistungsschutzrecht zu lizenzieren, es in vollem Umfang zu nutzen und sich so gegenüber Google einen Wettbewerbsvorsprung zu verschaffen. Die kostenlose Einwilligung stellt sogar einen Wettbewerbsnachteil für konkurrierende Suchmaschinen dar, weil Googles Konkurrenten nicht über die genügende Marktmacht verfügen, um ebenfalls eine kostenlose Einwilligung von den Verlagen zu fordern. Überdies wird man noch im Hinblick auf einen Ausbeutungsmissbrauch sagen müssen, dass grundsätzlich absolute Rechte nicht kostenlos abgegeben werden.
NJW: Was sagt das über die Bedeutung des Leistungsschutzrechts aus?
Nordemann: Der Prozess vor dem Landgericht Berlin zeigt, dass der Gesetzgeber grundsätzlich sein Ziel erreicht hat, für die Presseverleger ein absolutes Recht zu schaffen, mit dem ihnen möglich wird, für die Nutzung von Presseinhalten in Form von Trefferlisten oder Thumbnails durch Suchmaschinen monetarisierbar zu machen. Es ist nur der besonderen Marktmacht von Google zuzuschreiben, dass Google sich dieser Monetarisierung vorerst entziehen konnte. Meines Erachtens kann das Kartellrecht das aber nicht dauerhaft zulassen. Die jetzige Praxis von Google führt – wie gesagt – auch zu einer Behinderung von konkurrierenden Suchmaschinen.
NJW: Wie geht es nun weiter?
Nordemann: Das Verfahren geht vor den Kartellsenat des Kammergerichts. Es ist zu erwarten, dass die unterlegene Partei zum Bundesgerichtshof geht. Auch das erwähnte Schiedsstellenverfahren wird durch die Instanzen gehen. Dabei muss sich das Leistungsschutzrecht beweisen. Wenn man den Willen des Gesetzgebers ernst nimmt, dürfte das Ergebnis allerdings sein, dass Google entweder den gleichen angemessenen Betrag wie die konkurrierenden Suchmaschinen zahlen muss oder keine Presseinhalte mehr relevant im Sinne des Leistungsschutzrechts nutzen kann. Wir dürfen noch auf interessante Jahre der Klärung gespannt sein.
Das Interview ist Heft 32/2016 der NJW erschienen.