„Swiss-Type“-Ansprüche können nicht in „Compound-For-Use“-Ansprüche umgewandelt werden
In einer kürzlich ergangenen Entscheidung hat die Technische Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts ausgeführt, dass sogenannte „Swiss-Type“-Ansprüche (schweizerische Anspruchsform) hinsichtlich der Verwendung eines bekannten Arzneimittels zur Behandlung einer weiteren Krankheit nicht in einen „Compound-For-Use“-Anspruch umwandelbar sind.
In seiner ursprünglichen Fassung aus dem Jahr 1977 enthielt das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) keine spezifische Regelung zu Erfindungen, die darin bestehen, ein bekanntes Arzneimittel zur Behandlung einer weiteren Krankheit (zweite medizinische Indikation) einzusetzen. Um diese Lücke im EPÜ zu füllen, schuf die Große Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung G 3/85 mit der sogenannten schweizerischen Anspruchsform in der Formulierung “Verwendung der Verbindung X zur Herstellung eines Arzneimittels zur Behandlung der Krankheit Y”, mittels Rechtsfiktion die Möglichkeit zur Anmeldung eines Patents für eine zweite medizinische Indikation. Seit der Revision des EPÜ im Jahr 2007 sind zweite medizinische Indikationen gemäß Artikel 54(5) EPÜ ausdrücklich patentfähig, sofern die Formulierung “Verbindung X zur Anwendung bei der Behandlung der Krankheit Y” („Compound-For-Use“-Anspruch) verwendet wird. In der Fachwelt wurde anschließend heftig darüber diskutiert, ob „Swiss-Type“-Ansprüche und der neue „Compound-For-Use“-Anspruch für zweite medizinische Indikationen einen identischen oder unterschiedlichen Schutzumfang besitzen. In vorausgegangenen Entscheidungen zum Problem der Doppelpatentierung hatte die Technische Beschwerdekammer bereits angedeutet, dass sich die Schutzumfänge der beiden Anspruchsformen höchstwahrscheinlich nicht decken, weil Verfahrens- und Verwendungsansprüche der allgemeinen Auffassung nach einen geringeren Schutzumfang genießen als Stoffansprüche – eine recht oberflächliche Analyse dieser Frage.
Nun entschied die Technische Beschwerdekammer in der Entscheidung T 1673/11 einen Fall, in dem ein Patentinhaber die ihm gewährten Ansprüche während des Einspruchsverfahrens von „Swiss-Type“-Ansprüchen in „Compound-For-Use“-Ansprüche umwandelte und dabei sämtliche übrigen Anspruchsmerkmale hinsichtlich Verbindung und medizinischer Indikation unverändert ließ. Während die Einspruchsabteilung die Änderung zuließ und das Patent in der geänderten Form bestehen ließ, entschied die Technische Beschwerdekammer, dass die Änderung eines „Swiss-Type“-Anspruchsformats in einen „Compound-For-Use“-Anspruch eine unzulässige Erweiterung des Schutzumfangs eines Patents gemäß Artikel 123(3) EPÜ darstellt. Das Patent wurde widerrufen.
Dieses Ergebnis ist nicht sonderlich überraschend, da die Technische Beschwerdekammer in vorausgegangenen Fällen bereits angedeutet hatte, dass es sehr wohl einen Unterschied zwischen dem Schutzumfang von „Swiss-Type“-Ansprüchen und „Compound-For-Use“-Ansprüchen gibt. Jedoch wurden bis heute keine Aussagen darüber getroffen, worin genau dieser Unterschied besteht. Unter Ziffer 9.4 der Entscheidung argumentiert die Kammer, dass eine sogenannte zulassungsüberschreitende Anwendung eines verpackten Arzneimittels im Rahmen einer patentierten Indikation unter den Schutzumfang eines „Compound-For-Use“-Anspruchs fällt, während ein „Swiss-Type“-Anspruch eine solche Verwendung nicht abdeckt. Ob die nationalen Gerichte für Patentstreitsachen oder das geplante einheitliche Patentgericht diese Einschätzung teilen werden, ist fraglich. Es gibt bereits zahlreiche nationale Gerichtsentscheidungen, in denen die zulassungsüberschreitende oder „Skinny Label“-Anwendung anders und unter stärkerer Berücksichtigung der Komplexität des Problems bewertet wird. (LG Hamburg 327 O 67/15; Warner-Lambert Company, LLC v Actavis Group Ptc EHF & Others [2015] EWHC 72 (Pat)).
Dennoch unterstreicht die Entscheidung, dass Antragsteller im Rahmen des Prüfungsverfahrens für Europäische Patente unbedingt auch „Compound-For-Use“-Ansprüche anmelden sollten, um sich den vollen Schutz ihrer Erfindung einer zweiten medizinischen Indikation zu sichern. Die nachträgliche Umwandlung eines „Swiss-Type“-Formats in einen „Compound-For-Use“-Anspruch im Einspruchs- oder Beschränkungsverfahren ist beim Europäischen Patentamt nicht möglich.