Strategische Überlegungen zur mittelbaren Patentverletzung im Vorfeld des Inkrafttretens des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht
Der Rechtsrahmen für das Vorgehen gegen grenzüberschreitende Lieferketten in Europa, die der Benutzung eines patentgeschützten Gegenstands vorgeschaltet sind, wird sich mit dem bevorstehenden Inkrafttreten des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht wesentlich ändern.
Der aktuelle Rechtsrahmen
Unter dem bisherigen Rechtsrahmen entfalten Patente Ihre Schutzwirkung auf nationaler Ebene. Inhaber eines erteilten nationalen oder europäischen Patents können Dritten im nationalen Hoheitsgebiet eines Staates, in dem das Patent in Kraft ist, die Benutzung des patentierten Gegenstands verbieten. In der Praxis bedeutet dies, dass Verletzer bei einer grenzüberschreitenden Patentverletzung nur in einzelnen Ländern in Anspruch genommen werden können und in der Regel nur Handlungen verantworten, die in dem Land stattgefunden haben, in dem Klage erhoben wird. Es ist aktuell nicht möglich, ein Patent durch eine zentralisierte Patentverletzungsklage mit Wirkung für ganz Europa durchzusetzen.
Dieses Territorialitätsprinzip von Patenten wird sich mit dem Inkrafttreten des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ), das für Mitte 2022 erwartet wird, ändern. Mit dem EPGÜ wird ein neuer Rechtsrahmen geschaffen, in dem vom Europäischen Patentamt erteilte europäische Patente als sogenannte „Einheitspatente“ validiert werden können, die einheitliche Wirkung im ganzen EPGÜ-Gebiet haben.
Das Rechtsinstitut der mittelbaren Patentverletzung erlaubt es einem Patentinhaber die Benutzung von Mitteln zu untersagen, die selbst nicht patentverletzend sind, die aber für die Benutzung einer patentgeschützten Erfindung geeignet und bestimmt sind. Schützt ein Patent beispielsweise ein Gerät G, das die Elemente A, B und C aufweisen muss, kann der Patentinhaber einen Mitbewerber M, der ein Gerät mit allen drei für die Erfindung wesentlichen Elementen A, B und C herstellt, anbietet, in Verkehr bringt oder zu diesen Zwecken entweder einführt oder besitzt, wegen unmittelbarer Patentverletzung in Anspruch nehmen. Ferner ist der Patentinhaber befugt, einen Lieferanten L des Mitbewerbers M, der das Element C an den Mitbewerber M liefert und dadurch die patentverletzende Herstellung des Geräts G unterstützend ermöglicht, wegen mittelbarer Patentverletzung in Anspruch nehmen.
Unter dem bisherigen Rechtsrahmen setzt eine Inanspruchnahme des Lieferanten L in dieser Beispielskonstellation in den meisten europäischen Jurisdiktionen einen doppelten Inlandsbezug voraus: Eine mittelbare Patentverletzung durch den Lieferanten L ist zu bejahen, wenn sowohl die Lieferung oder das Angebot des Elements C an den Mitbewerber M als auch die darauffolgende (unmittelbare) Patentverletzung durch den Mitbewerber M, z.B. die Herstellung oder die Vermarktung des Geräts G mit den Elementen A, B und C, im patentgeschützten Inland stattfinden (vgl. § 10(1) PatG, Art. 60(2) des britischen Patentgesetzes oder Art. L613-4 des französischen Patentgesetzes). Eine mittelbare Patentverletzung ist in der Regel mangels doppelten Inlandsbezugs zu verneinen, wenn die Übergabe des Elements C an den Mitbewerber M oder die Vermarktung oder Herstellung des Geräts G durch diesen im Ausland stattfindet.
Für Inhaber eines Patents mit Wirkung für Deutschland, d.h. eines europäischen Patents, das in Deutschland in Kraft ist, oder eines deutschen nationalen Patents, sieht die Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs einen patentinhaberfreundlichen ausgedehnten Inlandsbezug voraus: Demnach kann eine mittelbare Patentverletzung auch darin liegen, dass ein Lieferant L die Elemente C an einen Mitbewerber M liefert, wenn dieser Mitbewerber M das patentgeschützte Gerät G – unter Verwendung der von L gelieferten Elemente C – mit den Elementen A, B und C herstellt, sei es im Ausland oder im Inland, um es daraufhin in Deutschland anzubieten oder zu vermarkten (BGH 30.01.2007 X ZR 53/04 – Funkuhr II). Sofern eine unmittelbare Patentverletzung im Inland durch den Mitbewerber M letztendlich stattfindet, werden auch Fälle erfasst, in denen der Lieferant L im Ausland ansässig ist und von dort ins Inland anbietet oder liefert, und sogar Fälle, in denen der Lieferant nur im Ausland agiert aber in Kenntnis darüber, dass der Bestimmungsort des gelieferten Mittels im Inland belegen ist, wo auch der unmittelbar benutzende Gebrauch stattfinden soll (BGH 03.02.2015 X ZR 69/13 – Audiosignalcodierung).
Mit den genannten Entscheidungen entkräftete der BGH das Erfordernis des doppelten Inlandsbezugs für mittelbare Patentverletzungen in Deutschland zugunsten von Patentinhabern. In der Praxis bedeutet dies für Inhaber von Patenten mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland, dass sie auch gegen im Inland oder im Ausland agierende Lieferanten eines inländischen oder ausländischen Mitbewerbers, der das patentierte Produkt im Inland verkauft oder anbietet, vorgehen können, selbst wenn das patentierte Produkt im Ausland zusammengebaut oder hergestellt wird.
Allerdings sind Fälle nicht erfasst, in denen der Mitbewerber M das patentierte Produkt in ein drittes europäisches Land versendet. In solchen Fällen kann der Patentinhaber aktuell gegen den Lieferanten L keine Maßnahmen vor den deutschen Gerichten ergreifen. Zum Beispiel kann ein deutscher Lieferant L, der das Element C beispielsweise an einen rumänischen Mitbewerber zur Verfügung stellt, der das in Deutschland patentierte Gerät G (mit den Elementen A, B und C) beispielsweise in Rumänien herstellt und in Italien veräußert, aktuell vor den deutschen Gerichten nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Der neue Rechtsrahmen
Die maßgeblichen territorialen Kriterien der mittelbaren Patentverletzung werden sich mit dem Inkrafttreten des EPGÜ wesentlich ändern.
Für die mittelbare Patentverletzung unter dem EPGÜ wird der Begriff „Inland“ des jeweiligen nationalen Patentgesetzes durch den Begriff „Hoheitsgebiet der Vertragsmitgliedstaaten“ ersetzt (vgl. Art. 26(1) EPGÜ). Demnach wird eine mittelbare Patentverletzung keinen auf einen einzelnen Staat bezogenen doppelten Inlandsbezug voraussetzen. Stattdessen wird der neue Rechtsrahmen für eine mittelbare Patentverletzung in Europa lediglich voraussetzen, dass sowohl die Lieferung als auch die darauffolgende unmittelbare Patentverletzung innerhalb der Grenzen des EPG-Gebiets stattfinden. Lieferung/Angebot und patentverletzender Einsatz des gelieferten/angebotenen Mittels dürfen nach dem EPGÜ in unterschiedlichen EPG-Staaten erfolgen.
Für unsere Beispielskonstellation (deutscher Lieferant liefert C an rumänischen Mitbewerber, der C bezieht und damit das patentgeschützte Gerät G in Italien veräußert) findet sowohl die Lieferung als auch die Veräußerung des patentierten Produkts G innerhalb des „Hoheitsgebiet der Vertragsmitgliedstaaten“, da sowohl Deutschland als auch Italien und Rumänien Mitgliedstaaten des EPG sind. Insofern könnte der Inhaber eines Einheitspatents in dieser Konstellation nicht nur den Mitbewerber M als unmittelbarer Patentverletzer in Anspruch nehmen, sondern auch den Lieferanten L als mittelbarer Patentverletzer.
Für Patentinhaber europäischer Einheitspatente wird es somit ab Inkrafttreten des EPGÜ möglich sein, gegen grenzüberschreitende Lieferungsketten innerhalb Europa vorzugehen, die unter dem aktuellen Rechtsrahmen keine Verletzungshandlung darstellen.
Die 24 Mitgliedstaaten des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht sind: Österreich, Belgien, Bulgarien, Zypern, Technische Republik, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Portugal, Rumänien, Slowakei, Slowenien und Schweden. Diese Staaten werden gemäß dem EPGÜ eine territoriale Einheit bilden.
Kroatien, Polen und Spanien sind EU-Staaten, die allerdings am EPGÜ nicht teilnehmen. Staaten, die zum EPÜ gehören aber nicht zum EPGÜ sind: Island, Norwegen, das Vereinigte Königreich, die Schweiz, die Türkei, Serbien, Albanien, Montenegro, und Nordmazedonien.
Die neue strategische Rolle deutscher nationaler Patente
Die neuen EPG-Gerichte unter der Führung der zentralen Beschwerdekammer mit Sitz in Luxemburg werden im Laufe der Zeit eine eigene Rechtsprechung zu allen relevanten Fragen des materiellen Patentrechts entwickeln müssen. Es bleibt zunächst abzuwarten, ob und ggf. inwieweit die in der deutschen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur mittelbaren Patentverletzung von den EPG-Gerichten übernommen werden. Dies ist angesichts der starken Rolle, die deutsche Richter und Gerichte im neuen System voraussichtlich spielen werden, zwar eine realistische Möglichkeit, kann jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit Sicherheit unterstellt werden.
Die aktuell geltende nationale Rechtsnorm der mittelbaren Patentverletzung, die in Deutschland im § 10(1) PatG verankert ist, sowie die dazu anzuwendende deutsche Rechtsprechung, wird für deutsche nationale Patente fortgelten. Dies gilt insbesondere für den vorstehend genannten – durchaus patentinhaberfreundlichen – erweiterten Inlandsbezug für die mittelbare Patentverletzung, die von den deutschen Gerichten, vor allem basierend auf den BGH-Entscheidungen Funkuhr II und Audiosignalcodierung, angesetzt wird.
In der Praxis bedeutet dies, dass europäische Einheitspatente und deutsche nationale Patente ab Inkrafttreten des EPGÜ unterschiedliche Fallkonstellationen der mittelbaren Patentverletzung abdecken werden.
Hervorzuheben ist auch, dass für Einheitspatente eine Aufhebung des Doppelschutzverbotes (Art. II § 8 IntPatÜG) mit der Wirkung vorgesehen ist, dass Patentinhaber berechtigt sein werden, dieselbe Erfindung gleichzeitig durch ein europäisches Einheitspatent und durch ein deutsches nationales Patent zu schützen, sogar mit identischen Patentansprüchen. Diese Möglichkeit ebnet den Weg für neue strategische Überlegungen für Patentinhaber, die ihre Rechtsposition optimieren möchten.
Inhaber eines europäischen Einheitspatents werden gegen Lieferanten mit Sitz in einem ersten EPG-Staat vorgehen können, die einem Hersteller bzw. Verkäufer eines patentierten Produkts mit Sitz in einem zweiten EPG-Staat wesentliche Elemente der geschützten Erfindung zur Verfügung stellen. Der erste und der zweite EPG-Staat können dabei derselbe Staat oder unterschiedliche Staaten sein.
Es ist allerdings aktuell unsicher, ob es mit einem europäischen Einheitspatent möglich sein wird, gegen Lieferketten vorzugehen, die sich im Vorfeld einer unmittelbaren Patentverletzung im EPG-Gebiet zumindest teilweise außerhalb des EPG-Gebiets abspielen, zum Beispiel wenn ein Lieferant einen Hersteller bzw. Verkäufer beliefert, der außerhalb des EPG-Gebiets, beispielsweise im Vereinigten Königreich, in Spanien oder in China ansässig ist, selbst wenn dieser das patentgeschützte Produkt später innerhalb des EPG-Gebiets patentverletzend benutzt.
Für Inhaber deutscher nationaler Patente oder deutscher Gebrauchsmuster wird es weiterhin möglich sein, in den vorstehend genannten Fallkonstellationen, die aufgrund des von der deutschen Rechtsprechung geprägten erweiterten Inlandsbezugs abgedeckt sind, gegen Lieferanten mit Auslandsbezug tätig zu werden. Für Inhaber eines deutschen nationalen Patents wird es beispielsweise weiterhin möglich sein, gegen einen in Deutschland ansässigen Lieferanten vorzugehen, der gemäß unseres Beispiels das Element C an einen Mitbewerber liefert, der in Spanien, im Vereinigten Königreich oder in China ansässig ist und dort das patentgeschützte Gerät herstellt, um es wieder in Deutschland zu importieren. Entsprechendes gilt für einen beispielswese in Spanien, im Vereinigten Königreich oder in China ansässigen Lieferanten, der das Element C an einen in Deutschland oder im Ausland ansässigen Mitbewerber liefert, der das patentgeschützte Gerät G nach Deutschland versendet.
Fazit
Europäische Einheitspatente und deutsche nationale Patente könnten ab Inkrafttreten des EPGÜ, vorbehaltlich der sich noch zu entwickelnden eigenen Rechtsprechung der EPG-Gerichte, verschiedene Fallkonstellationen der mittelbaren Patentverletzung abdecken.
Alle auf dem europäischen Markt agierenden Akteure, insbesondere Patentinhaber und potenzielle Patentverletzer, sind gut beraten, eine eigene Strategie im Hinblick auf den neuen Rechtsrahmen zu entwickeln, die den neuen Risiken und Möglichkeiten Rechnung trägt.
Patentinhaber mit wichtigen wirtschaftlichen Interessen in Deutschland, die auch gegen Lieferanten Ihrer Mitbewerber handlungsfähig bleiben wollen, sollten in Zukunft idealerwiese ihre europäischen Einheitspatente mit parallelen deutschen nationalen Patenten kombinieren. Für bestehende europäische Patentanmeldungen kann die Abzweigung eines deutschen Gebrauchsmusters eine erwägungswerte Option sein.
Weitere Details zum Europäischen Einheitspatent und zum Einheitlichen Patentgericht finden Sie unter https://www.boehmert.de/aktuelles-wissen/upc-update/.