Die Regierung des Vereinigten Königreiches hat am 29. März 2017 die Mitteilung nach Artikel 50 TFEU an den Rat der Europäischen Union zugestellt, was nun die Bühne für die Austrittsverhandlungen bereitet. Innerhalb von zwei Jahren müssen diese zwischen den Parteien abgeschlossen und muss das Ergebnis von den Mitgliedsstaaten und dem Britischen Parlament ratifiziert werden. Dabei haben die Verhandlungspartner eine Unzahl von vielschichtigen Themen zu bewältigen, was auch das geistige Eigentum einschließt, wozu wir auf unser früheres Bulletin vom 1. Juli 2016 verweisen dürfen. Der Entwurf der Verhandlungsleitlinien des Generalsekretariats des Rates ist am 31. März 2017 veröffentlicht worden.
Bislang nichts Neues
Für Rechteinhaber hat sich seit dem Brexit-Votum nichts Substanzielles verändert, aber es sollte berücksichtigt werden, dass wir auf einen „harten“ Brexitzusteuern, was den vollständigen Rückzug des Vereinigten Königreiches von allen europäischen Systemen und Freiheiten, einschließlich vom Gemeinsamen Binnenmarkt, und einen vollständigen Neuanfang der Beziehungen zueinander beinhaltet. Wir werden diesen Prozess begleiten und regelmäßig Entwicklungen aus der Sicht einer europäischen Kanzlei berichten, die vielzählige Interessen ihrer Mandanten im Vereinigten Königreich vertritt. Bislang hat das Brexit-Votum und die derzeitige Unsicherheit das Vertrauen in die Wirtschaft nur sanft geschüttelt: Die Zahl der nationalen Markenanmeldungen im Vereinigten Königreich ist um etwa 10 % im Vergleich zu den Jahren vor dem Brexit-Votum gestiegen, wie neulich vom Markenamt des Vereinigten Königreiches berichtet wurde. Dieser Effekt ist nicht allzu signifikant, weil auch die Anmeldezahlen beim Amt der Europäischen Unionsteigen. Es hat weiterhin eine spürbare Abkühlung im Bereich der geschäftlichen Investitionen im Vereinigten Königreich gegeben, die bis Ende 2016 umrund 1 % im Vergleich zu den drei Monaten bis Ende September gefallen sind, wie das Amt für nationale Statistiken des Vereinigten Königreiches jüngst mitteilte. Die Wirtschaft im Allgemeinen und Inhaber geistigen Eigentums im Speziellen scheinen „Abwarten und Tee trinken“ zu praktizieren, was für die derzeitige Situation auch durchaus noch angemessen ist.
Keine Neuigkeiten sind keine guten Neuigkeiten
Allerdings muss man feststellen, dass angesichts politischen Streits und taktischer Maßnahmen der Parteien der Ausgangspunkt für die Brexit-Verhandlungen schlecht ist. Obschon alle Interessenvertreter übereinstimmen, dass geistiges Eigentum viel zu wichtig ist, als dass man es aus dem Blick verlieren dürfte, wissen wir noch nicht, wie und zu welchen Kosten für die Rechteinhaber Unionsmarken, eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster und gemeinschaftliche Sorten erfasst und in das nationale rechtliche System des Vereinigten Königreiches „umgewandelt“ werden. Derzeit werden unterschiedliche Modelle diskutiert, einschließlich
- Eintragung der Unionsrechte in nationalen Registern automatisch mit Brexit-Vertrag,
- Eintragung nur auf Antrag der Inhaber, oder
- Fortwirkung der Schutzrechte und des diesbezüglichen Unionsrechts im Vereinigten Königreich.
Hierbei handelt es sich um Modelle, die in anderem Zusammenhang in der Vergangenheit bereits praktiziert worden sind und die wegen damit verbundener Erfahrungswerte keinen großen Aufwand bei der Umsetzung auslösen dürften. Einige besonders kritische Stimmen sagen allerdings sogar einen „dreckigen“ Brexit ohne jede förmliche Vereinbarung mit der EU voraus. Das tritt ein, wenn es keine bindende Austrittsvereinbarung zur rechten Zeit gibt und keine einstimmige Verlängerung der 2 Jahres-Frist zustande kommt. Dies würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Modelle 1 und 3 unmöglich machen und das Modell 2 mit beträchtlichen Kosten versehen. Allerdings gibt es derzeit wenig belastbare Anhaltspunkte, dass ein dreckiger Brexit tatsächlich wahr wird. Die weitaus relevanteren Probleme für Rechteinhaber nach dem Brexit beinhalten
- den Umfang der „Umwandlung“ – sind alle eingetragenen und nichteingetragenen Rechte erfasst?
- etwaige Beschränkungen im freien Warenverkehr mit dem Vereinigten Königreich nach Ausscheiden aus dem gemeinsamen Markt?
- nahtlose Anpassung der auf die EU bezogenen Lizenzen und Vertragswerke auf das Vereinigte Königreich?
- Unbeschränkte Durchsetzung der Unionsurteile im Vereinigten Königreich und umgekehrt?
- weiteres Schicksal von Verfahren bei Ämtern der EU gestützt auf nationale
Rechte des Vereinigten Königreiches, und umgekehrt beim nationalen Amt
gestützt auf Unionsrechte?
- angemessene Übergangsfristen für Rechteinhaber zur Anpassung an die
neue Situation nach dem Brexit?
- vernünftige Antworten auf Verfahrensfragen, zum Beispiel Wiederholung
der Sachprüfung, zeitlicher Ablauf der Nichtbenutzungsschonfrist, der
Neuheitsschonfrist, der Prioritäten und Senioritäten, Beschränkungen der
Aktivlegitimation und der professionellen Vertretung?
Geduld ist gefragt – und ein wachsames Auge
Wie auch immer das Verhandlungsergebnis sein mag: Rechteinhaber sind gut beraten zu akzeptieren, dass eine schnelle Lösung nicht in Sicht ist und dass voraussichtlich der allergrößte Teil der Verhandlungsfrist abgelaufen sein wird, bevor wir etwas klarer sehen werden. In den meisten Fällen wird derzeitein nüchterner Ansatz aus der europäischen Perspektive ausreichen. Das bestehende Portfolio durchweg auch auf das Vereinigte Königreich zu nationalisieren, dürfte überhastet sein. Wenn es allerdings um laufende Projekte geht, die das Vereinigte Königreich betonen bzw. für die das Vereinigte Königreichsogar den einzigen Markt darstellt, ist es sinnvoll, bereits jetzt die Beratung zusuchen, wie das beste Resultat für die IP-Rechte und die IP-bezogenen Verträge erzielt werden kann.
Checkliste
- riskieren Sie keine Lücken im Schutz und in der Überwachung,
- geben Sie keine existierenden Marken auf,
- prüfen Sie existierende IP-bezogene Verträge,
- prüfen Sie die derzeitige Benutzungssituation,
- prüfen Sie den Rechtsgrund laufender Verfahren,
- sichern Sie sich sinnvolle Domains,
- betrachten Sie den Geschäftssitz innerhalb/außerhalb der Europäischen Union strategisch, was auch für die Frage der Vertretung von Schutzrechten gilt.