G 4/19 – Bestätigung des Verbots der Doppelpatentierung vor dem EPA
In ihrer jüngsten Entscheidung G 4/19 beschäftigt sich die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts mit dem sogenannten Doppelpatentierungsverbot. Sie bestätigt hierin, dass eine europäische Patentanmeldung zurückgewiesen werden kann, wenn sie denselben Gegenstand beansprucht wie ein demselben Anmelder erteiltes europäisches Patent, das nicht zum Stand der Technik gehört. Dies gelte unabhängig davon, ob die zurückzuweisende Anmeldung am selben Tag wie das bereits erteilte europäische Patent eingereicht wurde, eine Stamm- oder Teilanmeldung davon ist oder dieselbe Priorität beansprucht wie das bereits erteilte europäische Patent.
Bisherige Praxis
Das Doppelpatentierungsverbot beruht auf der Annahme, dass der Anmelder kein legitimes Interesse an der Erteilung eines zweiten Patents für denselben Gegenstand hat, für den er bereits ein Patent besitzt.
Das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) umfasst keine ausdrücklichen Regelungen zum Doppelpatentierungsverbot. Ein solches Verbot wurde aber, etwa in einem „obiter dictum“ in den Entscheidungen G 1/05 und G 1/06, aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen („Ne bis in idem“) hergeleitet. Nach Art. 125 EPÜ können in den Vertragsstaaten allgemein anerkannte Grundsätze des Verfahrensrechts in der Entscheidungspraxis des EPA herangezogen werden, soweit entsprechende Vorschriften im EPÜ nicht verankert sind.
Das Problem einer möglichen Doppelpatentierung kann sich für die folgenden drei Fallkonstellationen ergeben:
- Zwei Anmeldungen mit zumindest einem identischen Anspruch werden am gleichen Tag eingereicht.
- Zumindest ein Anspruch einer Stammanmeldung und einer aus dieser hervorgegangenen Teilanmeldung sind identisch.
- Zumindest ein Anspruch einer ersten Anmeldung und einer späteren Anmeldung, die unter Inanspruchnahme der Priorität der ersten Anmeldung eingereicht wurde, sind identisch.
Ein praktisches Interesse des Anmelders an einem doppelten Patentschutz besteht insbesondere in der dritten genannten Fallkonstellation. Die Laufzeit eines Patents beträgt 20 Jahre. Ausgangspunkt für die Berechnung der Laufzeit ist der Anmeldetag der Anmeldung – nicht jedoch deren Prioritätstag. Dies bedeutet, dass die maximale Schutzdauer einer Nachanmeldung, die ein Jahr nach einer ersten Anmeldung eingereicht wird und deren Priorität in Anspruch nimmt, 21 Jahre nach dem Anmeldetag der ersten Anmeldung endet. Mit anderen Worten kann so für den in der Nachanmeldung beanspruchten Gegenstand eine effektive Verlängerung der Schutzdauer um ein Jahr erreicht werden.
G 4/19
Der Großen Beschwerdekammer wurde die Frage vorgelegt, ob eine Europäische Patentanmeldung tatsächlich unter Verweis auf eine Doppelpatentierung zurückgewiesen werden kann und, falls ja, ob dann zwischen den oben genannten drei möglichen Fallkonstellationen unterschieden werden müsse. Insbesondere wurde die Frage aufgeworfen, ob sich im praktisch sehr relevanten dritten Fall (Anmeldung und ihre Prioritätsanmeldung) ein berechtigtes Interesse des Anmelders an einer Doppelpatentierung daraus ergäbe, dass der Anmeldetag und nicht der Prioritätstag für die Berechnung der Laufzeit maßgeblich ist.
Die Große Beschwerdekammer bejaht zunächst, dass eine Europäische Patentanmeldung unter Hinweis auf eine unerlaubte Doppelpatentierung zurückgewiesen werden kann. Ein Doppelpatentierungsverbot könne in der Tat aus der Entstehungsgeschichte des EPÜ hergeleitet und nach Art. 125 EPÜ zur Anwendung gebracht werden.
Auch sei nicht zwischen den genannten drei Fallkonstellationen zu unterscheiden. Aus den „Travaux préparatoires“, also den offiziellen Aufzeichnungen der Verhandlungsgeschichte des EPÜ, ergäbe sich eindeutig, dass der Gesetzgeber nicht zwischen diesen Fällen unterscheiden wollte. Daher könne die Frage nach einem berechtigten Interesse des Anmelders an einer Doppelpatentierung auch für den Fall einer Anmeldung und ihrer Prioritätsanmeldung unbeantwortet bleiben.
Fazit
Die Entscheidung folgt der gängigen Praxis des EPA zum Doppelpatentierungsverbot, insbesondere den Entscheidungen G 1/05 und G 1/06. Sie stellt ausdrücklich klar, dass das Verbot gemäß dem EPÜ angewandt werden kann und auch für eine Anmeldung und ihre Prioritätsanmeldung gilt. Dass die Große Beschwerdekammer die Frage nach einem berechtigten Interesse des Anmelders an einem zweiten Patent in einem solchen Fall unbeantwortet lässt, ist zu einem gewissen Grad unbefriedigend. Ein solches Interesse wäre vor dem Hintergrund der effektiven Laufzeitverlängerung wohl nicht ohne Weiteres zu verneinen gewesen.
Auch lässt die Entscheidung offen, wann zwei Ansprüche „denselben Gegenstand“ betreffen und daher unter das Doppelpatentierungsverbot fallen. Nach gängiger Praxis wird eine Anmeldung nur dann unter Verweis auf das Doppelpatentierungsverbot zurückgewiesen, wenn der Schutzbereich der Ansprüche identisch ist. Eine Überlappung der Schutzbereiche nicht identischer Ansprüche wird hingegen allgemein als unkritisch angesehen.
Auch wenn diese Frage in der Entscheidung unbeantwortet bleibt, kann wohl in Übereinstimmung mit der bisherigen Praxis zunächst davon ausgegangen werden, dass das Verbot der Doppelpatentierung weiterhin eng auszulegen ist und damit auf identische Ansprüche beschränkt bleibt. Hierfür spricht auch, dass in der Begründung der Entscheidung zwischen „double protection“ (sich überschneidenden Ansprüchen) und „Doppelpatentierung“ unterschieden wird.