Einstweilige Verfügungen vor dem Einheitlichen Patentgericht
Nach über einem Jahr Tätigkeit des Einheitlichen Patentgerichts (EPG) beleuchtet dieser Beitrag Regelungen und bisherige Rechtsprechung zu einstweiligen Maßnahmen vor dem EPG und stellt insbesondere die Abweichungen zu Verfahren vor deutschen Gerichten heraus.
Nachdem das Einheitlichen Patentgericht (EPG) im letzten Jahr seine Arbeit aufgenommen hat, beschäftigt sich dieser Beitrag mit Besonderheiten der Verfügungsverfahren vor diesem Gericht. Dafür zeigt er zunächst Besonderheiten der diesbezüglichen Regelungen) im Gegensatz zu denjenigen für Eilverfahren vor nationalen Gerichten auf und gibt dann eine kurze Zusammenfassung zu bereits vom EPG erlassenen einstweiligen Verfügungen im Hinblick auf Abweichungen von der nationalen Rechtsprechungspraxis deutscher Gerichte (insbesondere bezüglich der für den Erlass einstweiliger Maßnahmen erforderlichen Dringlichkeit und der erforderlichen Überzeugung des Gerichts von der Bestandskraft des Streitpatents).
Verfahrensregeln für den Erlass einstweiligen Verfügung beim EPG
Geregelt sind einstweilige Maßnahmen beim EPG in den Regeln 205ff. der Verfahrensordnung des EPG (EPGVerfO).
Aus R. 206 EPGVerfO ergeben sich zunächst die Pflichtangaben, welche ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Maßnahme enthalten muss. Eine Neuerung gegenüber den Regeln für Verfügungsverfahren vor deutschen Gerichten enthält R. 206 Nr.2e EPGVerfO, wonach ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Maßnahme „eine kurze Beschreibung der Klage, die bei dem Gericht anhängig gemacht werden wird, einschließlich der Tatsachen und Beweismittel, auf die das Hauptverfahren in der Sache gestützt werden wird“ enthalten muss. Diese Regelung hat den Zweck das Gericht in die Lage zu versetzen, die Erfolgsaussichten der Hauptsache einschätzen zu können. Dabei entsprechen jedoch in den überwiegenden Fällen Angaben über Tatsachen und Beweismittel der zu erhebenden Klage der Begründung des Verfügungsantrages (Tilmann/ Plassmann, Einheitspatent, Einheitliches Patentgericht, R. 206 EPGVerfO Rn.29).
Eine weitere Besonderheit von verfügungsverfahren vorm EPG enthält Regel 206 abs.3EPGVerfO. Danach kann der Antragsteller einen Antrag auf eine Entscheidung ohne Anhörung der gegnerischen Partei stellen. Er muss Gründe dafür vorbringen, dass die Anhörung entfallen soll, was zum Beispiel die Gefährdung des Anordnungserfolgs, oder eine besondere Dringlichkeit sein können. Außerhalb des EPGÜ-Raumes wird eine Anordnung ohne Anhörung nicht anerkannt und/ oder vollstreckt (Art.45 I b, 46 Brüssel Ia-VO). Die frühere Korrespondenz mit dem Antragsgegner bezüglich der im Raum stehenden Patentverletzung muss angegeben werden und Abmahnung und Verfügungsantrag müssen übereinstimmen. Neu gegenüber einem nationalen Verfügungsverfahren vor deutschen Gerichten ist, dass nach Regel 209 EPGVerfO die Möglichkeit besteht zu beantragen, dass das Vorgehen vertraulich behandelt wird, wenn der Antrag nur auf eine Entscheidung ohne Anhörung gerichtete ist und sonst zurückgenommen wird.
Bereits ergangene Entscheidungen
Nachfolgend wird ein kurzer Überblick zu den Besonderheiten bereits ergangener Eilentscheidungen des EPG gegeben.
Ein Aspekt bezüglich welchem sich die bisherige Entscheidungspraxis des EPG von derjenigen deutscher Gerichte unterscheidet ist die für den Erlass einstweiliger Maßnahmen erforderlichen Dringlichkeit. Diesbezüglich hat das EPG entschieden, dass ein Antragsteller das Gericht erst dann anrufen muss, wenn er verlässliche Kenntnis aller Tatsachen hat, die eine Rechtsverfolgung im Verfahren auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen erfolgversprechend machen, und wenn er diese Tatsachen glaubhaft machen kann (EPG (LK Düsseldorf), Anordn. v. 9.4.2024 – UPC_CFI_452/2023)
R. 213.2 VerfO gibt dem Gericht im Rahmen der Entscheidungsfindung die Möglichkeit, dem Antragsteller aufzuerlegen, alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel vorzulegen, um sich mit ausreichender Sicherheit davon überzeugen zu können, dass er zur Einleitung des Verfahrens berechtigt ist, das betreffende Patent Gültigkeit besitzt und sein Recht verletzt wird oder verletzt zu werden droht. Darauf muss der Antragsteller regelmäßig innerhalb kurzer Fristen reagieren, weshalb eine entsprechende Vorbereitung des Verfahrens erforderlich ist. Er darf sich auf jede möglicherweise eintretende prozessuale Situation derart vorbereiten, dass er dem Gericht auf eine entsprechende Anordnung hin die angeforderten Informationen und Unterlagen präsentieren und auf das Vorbringen der Antragsgegnerseite erfolgreich erwidern kann. Daraus folgt, dass der Antragsteller das Gericht grundsätzlich erst dann anrufen muss, wenn er verlässliche Kenntnis aller Tatsachen hat, die eine Rechtsverfolgung im Eilverfahren erfolgsversprechend machen und wenn er diese Tatsachen auch glaubhaft machen kann. Der Antragsteller darf jedoch auch nicht unnötig zögern, sondern muss die erforderlichen Maßnahmen zur Aufklärung treffen und Material zur Glaubhaftmachung sammeln, sobald er von dem die Verletzung begründenden Sachverhalt Kenntnis erlangt. Verfügt der Antragsteller über die erforderliche Kenntnis und Unterlagen, muss er den Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen innerhalb eines Monats anbringen (EPG (LK Düsseldorf), Anordn. v. 9.4.2024 – UPC_CFI_452/2023). Grob fahrlässige Unkenntnis steht einer positiven Kenntnis gleich.
Die zeitliche Dringlichkeit, die für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen notwendig ist, fehlt nur, wenn sich der Antragsteller bei der Verfolgung seiner Ansprüche in einer solchen Weise nachlässig und zögerlich verhalten hat, dass aus objektiver Sicht der Schluss geboten ist, ihm sei an einer zügigen Durchsetzung seiner Rechte nicht gelegen. Dann scheint es auch nicht angemessen, ihm die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtschutzes zu gestatten (vgl. auch UPC_CFI 2/2023 (LK München), Anordnung v. 19.09.2023, 1513, 1524 – Nachweisverfahren; UPC CFI 452/2024 (LK Düsseldorf), Anordnung v. 09.04.2024, S. 27, GRUR-RS 2024, 7207, Rz. 126).
Damit scheint die Voraussetzung der Dringlichkeit vom EPG etwas großzügiger gehandhabt zu werden als von deutschen Gerichten, bei welchen ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Maßnahme in der Regel einen Monat nach Kenntniserlangung gestellt werden muss.
Eine weitere Abweichung zwischen der deutschen Rechtsprechungspraxis und der bisherigen Entscheidungspraxis des EPG betrifft den Grad der Überzeugung des Gerichts von der Bestandskraft des Streitpatents.
Die Lokalkammer München des EPG hat am 19.9.2023 entschieden (UPC_CFI_2/2023), dass im Rahmen einer Anordnung einstweiliger Maßnahmen nach Art. 62 EPGÜ eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine sichere Überzeugung des Gerichts von der Gültigkeit eines Patents notwendig, aber auch ausreichend ist. Vor dem EPG kommt es allein auf die Überzeugung der Kammer selbst von der Bestandskraft an, da dieselbe Kammer im Fall einer Widerklage im Hauptsacheverfahren auch für die dortige Beurteilung der Bestandskraft zuständig wäre. Da beim EPG nicht zwischen Verletzungs- und Rechtsbestandverfahren getrennt wird, wird für das Eilverfahren vorm EPG eine erstinstanzliche Bestätigung der Bestandskraft des Patents weniger bedeutsam. Parallele Verfahren zur Bestandskraft vor dem EPA oder vor mitgliedstaatlichen Gerichten finden Berücksichtigung bei der Ermessungsausübung der Kammer (R. 209.2(a) EPGVfO).
Welcher Grad an Überzeugung „ausreichend sicher“ ist, definiert weder das EPGÜ noch die Verfahrensordnung, weshalb grundsätzlich jeder Wahrscheinlichkeitsgrad in Frage kommt. Daher ist bei der Ermittlung des letzteren vom konkreten Zweck der Überzeugungsbildung auszugehen, wobei besonders zu berücksichtigen ist, dass es nicht um endgültige Verfügungen geht, sondern um die Anordnung nach R. 213 VerfO zeitlich befristeter einstweiliger Maßnahmen in einem summarischen Verfahren (R. 205 VerfO). Aufgrund Einstweiligkeit der Maßnahmen und beschränkten Erkenntnismöglichkeiten eines summarischen Verfahrens, muss der Wahrscheinlichkeitsmaßstab herabgesetzt sein, weshalb eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit nicht verlangt werden kann. Für eine ausreichend sichere Überzeugung des Gerichts von der Gültigkeit des Streitpatents ist eine überwiegende Wahrscheinlichkeit notwendig, aber auch ausreichend, es muss wahrscheinlicher sein, dass das Patent Bestand hat, als dass es nicht Bestand hat. GRUR 2023, 1513 Rn. 147). Anderslautende deutsche Rechtsprechung, nach welcher die Vernichtung des Patents nach dem Nichtigkeitsvortrag nur möglich sein muss, ist im Anwendungsbereich des EPGÜ und der VerfO nicht relevant. (GRUR 2023, 1513) Das Gericht hat nach R. 211 Nr. 2 VerfO mit Blick auf den Rechtsbestand eine Einzelfallentscheidungen bezogen auf das konkret geltend gemachte Patent zu treffen.
Insgesamt unterscheiden sich Eilverfahren vorm EPG nicht grundsätzlich von denen vor deutschen Gerichten, es gibt jedoch einige Besonderheiten.