BGH präzisiert seine Rechtsprechung zur Auslandshaftung in Patentverletzungsfällen (Entscheidung „Abdichtsystem“)
Mit dem Urteil „Abdichtsystem“ vom 16. Mai 2017 (Az. X ZR 120 / 15) hat der BGH seine Rechtsprechung zur Patentverletzung durch rein im Ausland stattfindende Handlungen präzisiert. Er gibt damit zugleich für die geschäftliche Praxis wertvolle Hinweise, wie sich im Ausland ansässige Lieferanten hinsichtlich ihrer Lieferungen an ebenfalls im Ausland ansässige Abnehmer zu verhalten haben, um eine Patentverletzung in Deutschland möglichst zu vermeiden.
Hintergrund der Entscheidung
In seiner Entscheidung „Funkuhr I“ (Beschluss vom 26. Februar 2002, Az. XZR 36/01) hatte der BGH erstmals – und leider auch nur mit wenigen Worten – bestimmt, dass die Lieferung von Waren von einem im Ausland ansässigen Lieferantenan einen ebenfalls im Ausland ansässigen Abnehmer eine Patentverletzung in Deutschland konstituieren kann, sofern der Abnehmer die Waren im Anschluss nach Deutschland liefert. Jedoch blieb seinerzeit noch im Unklaren, welche Voraussetzungen im Einzelfall für eine solche (oftmals dann als nebentäterschaftlich zu beurteilende) Haftung erforderlich sind, insbesondere auch im Hinblick auf den erforderlichen Verschuldensmaßstab des im Ausland ansässigen Lieferanten.
Auch das Urteil „Audiosignalcodierung“ (BGH, Urteil vom 3. Februar 2015, Az. XZR 69/13) brachte diesbezüglich nur einen vergleichsweise geringen Erkenntnisgewinn. Zumindest stand hiernach fest, dass jedenfalls die positive Kenntnis darüber, dass der Abnehmer nach Deutschland liefern könnte, ein hinreichendes Verschulden begründet. Im konkreten Fall wurde die Möglichkeit einer Lieferung nach Deutschland an der Tatsache festgemacht, dass der im Ausland ansässige Abnehmer auf seiner Internetseite ein in Deutschland ansässiges Unternehmen als Distributor für den europäischen Markt bezeichnet hatte (Rz. 32). Weitere, der Verallgemeinerung zugängliche Aussagen ließen sich der Entscheidung gleichwohl nur schwer entnehmen.
Inhalt der Entscheidung
Demgegenüber enthält die Entscheidung „Abdichtsystem“ nun erstmals erheblich umfangreichere Hinweise darauf, wann ein Verschulden vorliegt, und welche Kriterienin der Praxis zu beachten sind. Zudem bestimmt die Entscheidung, welche Ansprüche im Verletzungsfall im Einzelnen geltend gemacht werden können.
Zunächst hält der BGH fest, dass ein Verschulden nur dann angenommen werden kann, wenn für den Lieferanten konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die eine Weiterlieferung nach Deutschland als möglich erscheinen lassen (Rz. 62).
Konkrete Anhaltspunkte liegen laut BGH sodann nicht schon dann vor, wenn
- der Lieferant eine Lieferung nach Deutschland durch den Abnehmer lediglich für möglich hält (Rz. 70 f.),
- der Abnehmer Geschäftsbeziehungen nach Deutschland hat oder ähnliche Erzeugnisse bereits nach Deutschland geliefert hat (Rz. 63), oder
- eine dem gelieferten Produkt beigelegte Bedienungsanleitung auch Anweisungen in deutscher Sprache enthält (Rz. 69).
Konkrete Anhaltspunkte liegen laut BGH aber sehr wohl vor wenn
- der Lieferant von einer bereits erfolgten oder bevorstehenden Weiterlieferung positive Kenntnis erhalten hat (Rz. 64),
- die abgenommene Menge so groß ist, dass sie schwerlich nur auf schutzrechtsfreien Märkten vertrieben werden kann (Rz. 64),
- das Abnahmeverhalten auffällig mit einer wahrnehmbaren oder potentiell schutzrechtsverletzenden Tätigkeit des Abnehmers auf dem deutschen Markt korreliert (Rz. 64), oder
- eine dem gelieferten Produkt beigelegte Bedienungsanleitung auch Anweisungen in deutscher Sprache enthält und der Lieferant nicht selbst nach Deutschland liefert (Rz. 69).
Bei alledem sind laut BGH die Umstände des Einzelfalls auch weiterhin genau zu betrachten (Rz. 64). Im Übrigen ist die Aufzählung des BGH ausdrücklich nicht abschließend (Rz. 63): auch einen Sachverhalt wie den in „Audiosignalcodierung“ (s.o.) wird man daher wohl weiterhin als „konkreten Anhaltspunkt“ zu begreifen haben.
Liegen dem Lieferanten konkrete Anhaltspunkte vor, so treffen ihn laut BGH bestimmte Handlungspflichten, um sich von dem Verschuldensvorwurf zu befreien:
Er muss erstens den Abnehmer darüber befragen, ob er die betreffenden Erzeugnisse an den deutschen Markt liefern möchte und zweitens darauf hinweisen, dass dies möglicherweise eine Patentverletzung darstellt. Kann der Abnehmer daraufhin nicht plausibel darlegen, dass er an den deutschen Markt nicht liefern werde, muss der Lieferant die Belieferung des Abnehmers einstellen (Rz. 64). Kommt er dem nicht nach, haftet er als Patentverletzer, wobei die Haftung für eine unmittelbare (anders als für eine mittelbare) Patentverletzung erst entsteht, wenn der Abnehmer tatsächlich nach Deutschland einführt (Rz. 78).
Konsequenzen der Entscheidung
Auch zu den Konsequenzen seiner Entscheidung trifft der BGH nun durchaus umfangreiche Ausführungen. So betont er zunächst, dass die vorstehend genannten Kriterien bereits im Rahmen des Unterlassungsanspruchs zu prüfen sind, da sich der Verhaltensvorwurf nicht allein auf das Verschulden bezieht, sondern auch bereits auf die Beteiligungsform, hier also auf die Mitwirkung bei der Patentverletzung als Nebentäter. Die täterschaftliche Handlung wird insofern durch die Verletzung der vorstehend genannten Handlungspflichten konstituiert (Rz. 52 ff.).
Hinsichtlich des Schadensersatzes hatte der BGH in seiner weiteren Entscheidung „MP3-Player-Import“ (Urteil vom 17. September 2009, Xa ZR 2/08) zunächst noch offen gelassen, ob für den dortigen Verschuldensmaßstab noch weitere, ergänzende Voraussetzungen gelten sollten (dort Rz. 38). In der jetzigen Entscheidung (wie auch bereits in seiner Entscheidung „Audiosignalcodierung“) greift er diesen Gedanken nicht mehr auf, sondern bejaht bei Verletzung der entsprechenden Handlungspflichten nun uneingeschränkt auch die Verpflichtung zum Schadensersatz (Rz. 82).
Die weiteren Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung umfassen sodann, wie der BGH klarstellt, auch diejenigen Lieferungen an den Abnehmer, die nicht zu einer Patentverletzung geführt haben, mithin nicht nach Deutschland eingeführt wurden (Rz. 84 ff.).
Zuletzt stellt der BGH klar, dass neben dem Anspruch auf Rückruf stets (d.h. in allen Fällen der Patentverletzung, auch unabhängig von der besonderen Konstellationdes Auslandsbezuges) Ansprüche auf Entfernung aus den Vertriebswegen und auf Vernichtung, und zwar sämtlich kumulativ, geltend gemacht werden können (Rz. 24).
Ob der Anspruch auf Entfernung bereits mit Verbringen der betroffenen Erzeugnisse ins schutzrechtsfreie Ausland erfüllt ist, wurde indes offen gelassen (Rz. 34). Für den Vernichtungsanspruch ist zudem zu beachten, dass dieser Besitz im Inland erfordert.
Fazit
Durch das Urteil „Abdichtsystem“ sind die Risiken für im Ausland ansässige Lieferanten, in Deutschland erfolgreich wegen einer Patentverletzung verklagt zu werden, nochmals gestiegen. Gleichzeitig aber hat der BGH nun auch Kriterien aufgestellt, an Hand derer diese Risiken mit Hilfe einer frühzeitigen Beratung sinnvoll reduziert werden können.