Neues Verbraucherschutzrecht für digitale Güter
Mit der Digitale-Inhalte-Richtlinie (Richtlinie (EU) 2019/770) baut die EU den europäischen digitalen Binnenmarkt weiter aus und erleichtert den Verbrauchern den Zugang zu digitalen Produkten. Erklärtes Ziel der EU war es, ein Gleichgewicht zwischen einem hohen Verbraucherschutzniveau und der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu gewährleisten. Dennoch muss die Gestaltung von Verträgen, die die Bereitstellung digitaler Inhalte zum Gegenstand haben, aufgrund des neuen Rechtsrahmens, der in Deutschland seit dem 01. Januar 2022 gilt, in einigen grundlegenden Punkten angepasst werden.
Gesetzliche Regelungen und Anwendungsbereich
Der neue Rechtsrahmen für die Bereitstellung digitaler Inhalte wurde in Deutschland durch mehrere Änderungen im BGB geschaffen. Der folgende Überblick konzentriert sich dabei auf die neuen Regelungen in den §§ 327 ff. BGB, die einen wesentlichen Einfluss auf die Gestaltung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen im B2C-Bereich haben.
Diese Regelungen gelten für alle Verbraucherverträge, die die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen (digitale Produkte) durch einen Unternehmer gegen Zahlung eines Preises zum Gegenstand haben. Eine wesentliche Änderung ist, dass die neuen gesetzlichen Regelungen auch dann gelten, wenn der Verbraucher personenbezogene Daten als Zahlungsmittel zur Verfügung stellt, es sei denn, diese Daten werden ausschließlich verarbeitet, um die vertragliche Leistungspflicht oder rechtliche Anforderungen zu erfüllen. Da kostenlose digitale Inhalte häufig mit dem Ziel bereitgestellt werden, die gesammelten personenbezogenen Daten der Nutzer über das für die Bereitstellung des digitalen Produkts selbst notwendige Maß hinaus zu nutzen, bedeutet diese Ausweitung des Anwendungsbereichs, dass viele bisher unregulierte Anwendungsfälle wie kostenlose Apps nun strengeren verbraucherschutzrechtlichen Vorgaben unterliegen.
Pflicht zur Bereitstellung des digitalen Produkts
Im Anwendungsbereich der §§ 327 ff. BGB ist der Unternehmer zur Bereitstellung des vertragsgegenständlichen, digitalen Produkts verpflichtet. Verletzt der Unternehmer diese Vertragspflicht, kann der Verbraucher den Vertrag kündigen sowie Schadensersatz oder Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen. Bei Mangelhaftigkeit des digitalen Produkts kann der Verbraucher daneben auch Nacherfüllung oder Preisminderung verlangen. Insbesondere für digitale Produkte, die „kostenlos“ angeboten werden und für die der Verbraucher nur mit persönlichen Daten „bezahlt“, bedeutet dies einen Paradigmenwechsel im Vergleich zu den früheren Regelungen, die dem Unternehmer einen größeren Spielraum für die Änderung oder den Rücktritt vom Vertrag ließen und auch mildere Rechtsfolgen bei Mängeln vorsahen.
Pflicht zur Aktualisierung des digitalen Produkts
Ein weiteres umstrittenes Thema wurde in § 327f BGB geregelt, nach dem der Unternehmer nun verpflichtet ist, dem Verbraucher Aktualisierungen bereitzustellen, die für den Erhalt der Vertragsmäßigkeit des digitalen Produkts erforderlich sind, und den Verbraucher über diese Aktualisierungen entsprechend zu informieren. Zu diesen obligatorischen Aktualisierungen gehören ausdrücklich auch Sicherheitsupdates. Die Pflicht zur Aktualisierung des digitalen Produkts gilt so lange, wie das digitale Produkt zur Verfügung gestellt wird, und kann daher sogar über die allgemeinen Gewährleistungspflichten hinausgehen. Der Gewerbetreibende haftet sogar dann für Produktmängel, wenn er ein Update zur Verfügung gestellt hat, der Verbraucher es aber nicht installiert hat, weil der Gewerbetreibende den Verbraucher nicht ausreichend über die Verfügbarkeit des Updates und die Folgen der Nichtinstallation informiert hat oder weil die Nichtinstallation auf eine fehlerhafte Installationsanleitung zurückzuführen ist.
Änderungen an dem digitalen Produkt
Eine weitere wichtige Bestimmung findet sich im neuen § 327r BGB, der Artikel 19 der Digitale-Inhalte-Richtlinie umsetzt. Sieht der Vertrag vor, dass das digitale Produkt dem Verbraucher dauerhaft bereitgestellt wird, darf der Unternehmer Änderungen des digitalen Produkts, die über das zur Aufrechterhaltung der Vertragsmäßigkeit erforderliche Maß hinausgehen, nur vornehmen, wenn
- der Vertrag diese Möglichkeit vorsieht und einen triftigen Grund dafür enthält,
- dem Verbraucher durch die Änderung keine zusätzlichen Kosten entstehen und
- der Verbraucher klar und verständlich über die Änderung informiert wird.
Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, hat der Verbraucher das Recht, den Vertrag zu kündigen. Erwägungsgrund Nr. 77 der Digitale-Inhalte-Richtlinie besagt jedoch ausdrücklich, dass der Verbraucher, wenn die geänderten digitalen Inhalte nicht mehr den subjektiven und objektiven vertraglichen Anforderungen entsprechen, auch in der Lage sein soll, Nacherfüllung zu verlangen, den Preis zu mindern sowie Schadensersatz oder die Erstattung vergeblicher Aufwendungen zu fordern.
Gemäß Erwägungsgrund Nr. 75 der Digitale-Inhalte-Richtlinie können triftige Gründe für eine Änderung des digitalen Produkts Fälle umfassen, in denen die Änderung erforderlich ist, um die digitalen Inhalte an eine neue technische Umgebung oder an eine größere Zahl von Nutzern anzupassen oder aus anderen wichtigen betrieblichen Gründen.
Insbesondere bei kostenlosen Apps ist es nicht unüblich, den Funktionskatalog während der Laufzeit der App zu ändern, manchmal vielleicht mit einer Erweiterung der Funktionen, oft aber auch mit der Entfernung von Funktionen, die sich als unpraktisch oder wirtschaftlich nicht sinnvoll erweisen. Gemäß den genannten Beispielen in Erwägungsgrund 75 der Digitale-Inhalte-Richtlinie sollten jedoch weder die Praktikabilität noch die Wirtschaftlichkeit einer Funktion ein triftiger Grund für deren Entfernung aus der App sein. Sollte sich die Entfernung solcher Funktionen als Mangel erweisen, könnte der Nutzer theoretisch verlangen, dass die App in der vorherigen Version wiederhergestellt wird.
Konsequenzen für die Vertragsgestaltung
Die neuen Regelungen verschärfen die rechtlichen Pflichten bei der Bereitstellung digitaler Produkte erheblich, insbesondere in den Fällen, in denen das Produkt kostenlos zur Verfügung gestellt wird und der Zugang nur durch die Daten des Verbrauchers bezahlt wird. Der frühere Rechtsrahmen erkannte personenbezogene Daten nicht ausdrücklich als gültiges Zahlungsmittel an und verpflichtete daher den Unternehmer, der die Daten erhielt, nicht zu einer Gegenleistung. Mit dem neuen Rechtsrahmen sind die Leistungspflichten des Unternehmers nun ähnlich wie bei einem normalen Kauf- oder Mietvertrag ausgestaltet. Da die gesetzlichen Vorgaben nach § 327s BGB kaum vertraglich abgeändert werden können, erfordern die neuen Regelungen eine Neugestaltung der meisten bestehenden Verträge. Noch mehr als in der Vergangenheit wird es wichtig sein, den Leistungsumfang sorgfältig zu definieren, um sich nicht Nacherfüllungspflichten auszusetzen und sich spätere Änderungen vorzubehalten. Auch werden dem Unternehmer zusätzliche Informationspflichten auferlegt, die er erfüllen muss, um Abmahnungen von Wettbewerbern zu vermeiden. Sollten Sie Fragen zum neuen Rechtsrahmen haben, stehen wir Ihnen gerne beratend zur Seite.