Erfinderische Pflanzen und Tiere können doch patentiert werden!
Nun also doch: Erfinderische Pflanzen und Tiere können patentiert werden! Die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts hat die neue Regel 28(2) EPÜ für unwirksam erklärt. Die Regel war im letzten Jahr eingeführt worden, um eine Patentierung von durch Züchtungsverfahren hergestellten Pflanzen und Tieren zu unterbinden. Einen solchen Ausschluss sah die Beschwerdekammer aber nicht durch das Europäische Patentübereinkommen gestützt.
Am 5. Dezember 2018 überprüfte die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts (EPA) in der Sache T 1063/18 eine Entscheidung einer Prüfungsabteilung, die eine Patentanmeldung auf Paprikapflanzen zurückgewiesen hatte. Die beanspruchte Erfindung betrifft Paprikapflanzen mit tiefroter Farbe, die aus einem Züchtungsverfahren gewonnen wurden. Die Zurückweisung der Patentierung erfolgte ausschließlich auf Basis der neuen Regel 28(2) des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ), die eine Patentierung von ausschließlich durch ein im Wesentlichen biologisches Verfahren gewonnenen Pflanzen oder Tieren untersagt.
Die Patentierung von Pflanzen und Tieren sowie Züchtungsverfahren von Pflanzen und Tieren waren und sind beim EPA bis heute Gegenstand zahlreicher Verfahren. Materielles europäisches Patentrecht schließt in Artikel 53b EPÜ explizit im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren von der Patentierbarkeit aus. Artikel 53b EPÜ wurde bereits von der obersten Instanz des EPA, der Großen Beschwerdekammer (GBK), in den berüchtigten Fällen „Tomaten und Brokkoli I“ (G 2/07, G2/08) eingehend analysiert und auch, für viele ungewöhnlich, weit ausgelegt. Die GBK sah hier alle Verfahren ausgeschlossen, die Kreuzung und Selektion von ganzen Genomen beinhalten, völlig unabhängig von weiteren technischen Schritten. Anschließend stellte die GBK in „Tomaten und Brokkoli II“ (G 2/12, G 2/13) allerdings klar, dass der weitgehende Ausschluss nach Artikel 53b EPÜ nur für Verfahrensansprüche gelte und nicht auf Stoffe wie Pflanzen und Tiere auszuweiten sei. Mit anderen Worten, ein Patentschutz für die Pflanzen oder Tiere als solche, die mit im Wesentlichen biologischen Verfahren hergestellt werden, ist möglich, sofern sie alle anderen Anforderungen der Patentierbarkeit erfüllen.
Gewisse interessierte Parteien waren im Nachgang von Tomate/Brokkoli II mit den Implikationen der Entscheidungen wenig zufrieden, und Lobbying und politisches Engagement veranlassten die Europäische Kommission daraufhin, die Biotech-Richtlinie, die Blaupause für das europäische Biotech-Patentgesetz, rückwirkend dahingehend auszulegen, dass die Patentierbarkeit von Pflanzen und Tieren von Anfang an nicht beabsichtigt war. Unter diesem Druck führte das EPA im vergangenen Jahr eine neue Regel 28 (2) EPÜ ein, um die Patentierbarkeit von Pflanzen oder Tieren, die ausschließlich durch ein im Wesentlichen biologisches Verfahren gewonnen werden, ausdrücklich zu unterbinden. Folgend mussten Anmelder solcher Technologien beim EPA sicherstellen, dass Ansprüche auf erfinderische Pflanzen und Tiere vom Anspruchssatz ausgeschlossen sind, um eine Zurückweisung der gesamten Anmeldung zu vermeiden. Oft wurden so genannte Disclaimer eingesetzt, die Pflanzen und Tiere aus dem Patentschutz explizit ausnehmen sollten.
In dem hier diskutierten Fall folgte der Anmelder diesem Prozedere aber nicht und legte gegen die Zurückweisung der Ansprüche auf Paprikapflanzen aufgrund der neuen Regel 28 (2) EPÜ Beschwerde ein. Interessanterweise kam die Beschwerdekammer nun zu dem Schluss, dass die Einführung der neuen Regelung durch das EPA eindeutig in Widerspruch zum Artikel 53b EPÜ steht, welcher ja von der GBK in den Fällen Tomate/Brokkoli I und II ausführlich ausgelegt wurde – im Ergebnis ist die neue Regel null und nichtig. Bei Tomaten und Brokkoli II sah die GBK ausdrücklich keine Probleme bei der Patentfähigkeit von Pflanzen und Tieren gemäß der aktuellen Rechtslage. Da die Artikel des Europäischen Patentübereinkommens im Falle eines Konflikts mit einer Regel immer Vorrang genießen, können zukünftig tatsächlich immer noch Patente für Pflanzen oder Tiere erteilt werden, auch wenn diese ausschließlich durch ein im Wesentlichen biologisches Verfahren erhalten werden. Regel 28 (2) EPÜ wurde offensichtlich im Widerspruch zur ursprünglichen Konvention eingeführt – ein herber Rückschlag für den Verwaltungsrats des EPA.
Fazit
Die Entscheidung ist aber nicht nur für Anmelder von Pflanzen- und Tiertechnologien erfreulich, sondern kann als ein positives Signal für alle Nutzer des europäischen Patentsystems gewertet werden. Die Entscheidung bestätigt die Vorhersehbarkeit des europäischen Patentsystems und unterstreicht die Unabhängigkeit der Beschwerdekammern gegenüber der Verwaltung des Patentamtes. Politische Richtungswechsel können ohne ein ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren nicht ohne weiteres durch Einführung neuer Regeln im Gesetz manifestiert werden. Sofern ein öffentliches Interesse besteht, die Patentierbarkeit von Pflanzen und Tieren auszuschließen, kann dies vielmehr nur durch eine diplomatische Konferenz über die Änderung des materiellen europäischen Patentrechts (des EPÜ) geschehen. Dies erfordert zu Recht die Teilnahme demokratisch legitimierter Parlamente der Mitgliedstaaten.
Wie geht es weiter
Die Entscheidung hat aber auch praktische Konsequenzen: Es ist äußerst ratsam, in allen anhängigen Prüfungsverfahren Disclaimer von Pflanzen und Tieren, die zur Umgehung von Regel 28 (2) EPÜ eingeführt wurden, aus den Anspruchsätzen vor einer Erteilung zu streichen. Beanspruchen Sie Ihre erfinderischen Pflanzen- und Tiertechnologien!