EuGH erklärt deutsche Gerichtspraxis bezüglich der (Nicht-)Erteilung einstweiliger Verfügungen aus Patenten für europarechtswidrig
Wie bereits in einem Beitrag aus dem März 2021 in unserem B&B Bulletin berichtet, hat das Landgericht München I (LG München) mittels einer Vorlagefrage den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um Klärung der Frage ersucht, ob die deutsche Gerichtspraxis betreffend einstweilige Verfügungen bei Patentverletzung mit europäischen Vorgaben vereinbar ist.
Hierbei geht es darum, dass deutsche Oberlandesgerichte (zuletzt einschließlich des Oberlandesgerichts München) den Erlass einer einstweiligen Verfügung aufgrund einer Patentverletzung regelmäßig verweigern, wenn der Bestand des betreffenden Patents nicht bereits in einem Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren bestätigt wurde. In diesem Fall wird das erfolgreich durchlaufene Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt oder dem Europäischen Patentamt nicht als ausreichend dafür angesehen, von einem gesicherten Rechtsbestand des Patents auszugehen. In der Folge konnten Patentinhaber eine einstweilige Verfügung gegen einen Verletzer regelmäßig nicht erwirken, wenn nicht Dritte das betreffende Patent zuvor (erfolglos) angegriffen hatten, sodass diese Möglichkeit der Rechtsverfolgung letztlich von Faktoren abhing, auf die der Patentinhaber keinen Einfluss nehmen konnte.
In Anbetracht der Tatsache, dass die Wirkung eines Patents mit seiner Erteilung eintritt, sah das LG München durch diese Praxis das Recht des Patentinhabers auf wirksame einstweilige Maßnahmen verletzt, welches sich aus dem Unionsrecht (nämlich der Richtlinie 2004/48) ergibt. Gleichzeitig sah sich das LG München in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall durch die bindende Rechtsprechung des OLG München daran gehindert, eine einstweilige Verfügung zu erlassen, obwohl es sowohl von einer Patentverletzung als auch vom Rechtsbestand des Patents ausging.
Diese Situation veranlasste das LG München, die Praxis des OLG München (und anderer Oberlandesgerichte) dem EuGH zur Prüfung vorzulegen. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 28. April 2022 (Rechtssache C‑44/21) nun klargestellt, dass eine Gerichtspraxis mit Europarecht nicht vereinbar ist, bei der „der Erlass einstweiliger Maßnahmen wegen der Verletzung von Patenten grundsätzlich verweigert wird, wenn das in Rede stehende Patent nicht zumindest ein erstinstanzliches Einspruchs‑ oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat“.
Weiterhin stellte der EuGH klar, dass nationale Gerichte verpflichtet sind, eine dieser Beurteilung entgegenstehende gefestigte Rechtsprechung gegebenenfalls abzuändern. Insbesondere hat das LG München eine hiermit unvereinbare nationale Rechtsprechung nicht anzuwenden.
Grundsätzlich stärkt der EuGH hiermit deutlich die Rechte von Patentinhabern in einstweiligen Verfügungsverfahren vor den deutschen Gerichten. Wie sich dies in der gerichtlichen Praxis niederschlägt, bleibt indes abzuwarten.