Zusätzliche Verteidigungsmöglichkeiten für Patentverletzer und schnellere Nichtigkeitsverfahren
Das Justizministerium hat Mitte Januar seinen lang erwarteten Entwurf zur Reform des deutschen Patentgesetzes vorgelegt. Er sieht insbesondere eine neue und kontrovers diskutierte Härtefall-Ausnahme für den Unterlassungsanspruch sowie Maßnahmen zur Beschleunigung des Patentnichtigkeitsverfahrens und seiner besseren Verzahnung mit dem Patentverletzungsprozess vor.
Reform des Unterlassungsanspruchs
Der Unterlassungsanspruch gilt als das schärfste Schwert im deutschen Patentverletzungsverfahren. Wenn ein Verletzungsgericht auf Antrag des Patentinhabers eine Patentverletzung festgestellt hat, ordnet es nicht nur an, dass der Patentverletzer für zurückliegende Verletzungshandlungen Schadensersatz zu zahlen hat, sondern bestimmt auch, dass das verletzende Produkt vom Markt genommen werden muss und das patentverletzende Verfahren nicht mehr ausgeführt werden darf.
Dieser obligatorische Unterlassungsanspruch wird von Teilen der Industrie zunehmend kritisiert. Insbesondere die Automobilindustrie und deren Zulieferer sehen ein Missbrauchsrisiko in Fallkonstellationen gegeben, in denen das patentverletzende Produkt nur ein kleiner und wertmäßig untergeordneter Baustein eines komplexen Produkts ist, beispielsweise ein in einem Auto verbauter Mobilfunkchip, in denen der Unterlassungsanspruch aber letztendlich das Gesamtprodukt trifft. In solchen Konstellationen führe der drohende Unterlassungsanspruch dazu, dass der Patentinhaber oftmals zähneknirschend überzogen hohe Lizenzgebühren akzeptieren müsse, um einen Produktionsstillstand und die damit verbundenen enormen Kosten zu vermeiden.
Ganz automatisch und schrankenlos ist der Unterlassungsanspruch allerdings schon heute nicht. Viele solche Fallkonstellationen, insbesondere auf dem praktisch wichtigen Gebiet der Telekommunikation und Netzwerke, betreffen standardessentielle Patente, für die der Patentinhaber sich üblicherweise gegenüber der standardsetzenden Organisation verpflichtet hat, jedem Interessenten Lizenzen zu fairen und gleichen Bedingungen anzubieten, und für die der Patentinhaber nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs einen Unterlassungsanspruch nur durchsetzen kann, wenn er dem Verletzungsgericht nachweist, dass er dem Patentverletzer vorab ein solches faires Lizenzangebot unterbreitet hat, das jedoch ausgeschlagen wurde.
Zudem hat der Bundesgerichtshof in seiner „Wärmetauscher“-Entscheidung vom Mai 2016 (BGH X ZR 114/13), die ebenfalls einen Fall aus der Automobilindustrie betraf, festgestellt, dass dem Patentverletzer in Ausnahmefällen eine Aufbrauchsfrist eingeräumt werden kann, wenn eine sofortige Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls eine ungerechtfertigte Härte darstellt.
Bislang gab es allerdings keinen Fall, bei dem die Gerichte Raum für eine solche Härtefallregelung gesehen haben. Auch der BGH hatte im „Wärmetauscher“-Fall zwar die Möglichkeit einer solchen Ausnahme vorgesehen, für den konkreten Fall aber dann verneint.
Mit der nun vorgeschlagenen Reform des Patentgesetzes würden die vom BGH formulierten Grundsätze im Gesetz festgeschrieben. Der Unterlassungsanspruch wäre demnach ausgeschlossen, soweit seine Durchsetzung „unverhältnismäßig ist, weil sie aufgrund besonderer Umstände unter Beachtung des Interesses des Patentinhabers gegenüber dem Verletzer und der Gebote von Treu und Glauben eine durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigte Härte darstellt.“ Die vorgeschlagene Regelung ist allerdings insofern weitergehender als die „Wärmetauscher“-Entscheidung, als sie nicht auf die Einräumung einer Aufbrauchsfrist beschränkt ist, sondern unter Umständen auch einen längerfristigen oder dauerhaften Ausschluss eines Unterlassungsanspruchs zulässt.
Die Befürworter der Reform weisen darauf hin, dass auch ändere Länder Einschränkungen des Unterlassungsanspruchs kennen und beispielsweise in den USA der Unterlassungsanspruch überhaupt nur ausnahmsweise zugesprochen wird. Die Skeptiker erwidern, dass damit Äpfel und Birnen verglichen werden. Denn in den USA ist es zwar nicht der Unterlassungsanspruch, der den Patentverletzer empfindlich treffen kann, aber es sind die gegenüber Deutschland um ein Vielfaches höheren Prozesskosten und Schadensersatzzahlungen. Die in Deutschland verhängten Schadensersatzzahlungen bemessen sich dagegen lediglich daran, was der Patentverletzer dem Patentinhaber üblicherweise hätte zahlen müssen, wenn er von Anfang an eine Lizenz genommen hätte. In dieser Konstellation sei gerade der Unterlassungsanspruch zur Abschreckung von Patentverletzungen von größter Bedeutung, weil der Schadensersatz den Patentverletzer nicht schrecke. Die Begründung zum Diskussionsentwurf betont denn auch den Ausnahmecharakter der Härtefallregelung.
Reform des Patentnichtigkeitsverfahrens
Eine weitere bedeutende und weitaus weniger kontroverse Neuerung im Diskussionsentwurf betrifft die Straffung des Patentnichtigkeitsverfahrens, um es besser mit dem Patentverletzungsverfahren zu synchronisieren.
Im deutschen Patentverletzungsverfahren kann sich der vermeintliche Patentverletzer nur damit verteidigen, dass er das Patent nicht verletzt, beispielsweise weil sein Produkt sich von der patentgemäßen Lösung unterscheidet oder er zur Nutzung der Erfindung berechtigt ist. Wenn er aber geltend machen will, dass das Patent zu Unrecht erteilt wurde, es beispielsweise gegenüber dem Stand der Technik nicht neu oder nicht erfinderisch ist, muss er das Patent in einem separaten Nichtigkeitsverfahren vor dem Bundespatentgericht angreifen. Dieses Patentnichtigkeitsverfahren läuft naturbedingt gegenüber dem Verletzungsverfahren schon mit Verspätung an und schreitet dann in der Regel auch noch deutlicher langsamer voran, sodass sich der vermeintliche Patentverletzer oft in der unglücklichen Lage wiederfindet, dass das Verletzungsgericht bereits auf Patentverletzung erkannt hat, ehe das Bundespatentgericht viele Monate später über den Rechtsbestand des Patents entscheidet. Selbst der vorläufige gerichtliche Hinweis des Bundespatentgerichts, den der Gesetzgeber mit einer vorangegangenen Reform 2009 eingeführt hatte, kommt in der Praxis oft zu spät. In der Zwischenzeit sah sich der Patentverletzer unter dem Druck des drohenden Unterlassungsanspruchs möglicherweise schon genötigt, sich mit dem Patentinhaber auf eine hohe Lizenzzahlung zu einigen, obwohl sich das Patent letztendlich als nicht rechtsbeständig herausgestellt hätte.
Um diesem als „injunction gap“ bekannten Missstand abzuhelfen, sieht der Diskussionsentwurf vor, dass der Patentinhaber seine Verteidigungsargumente gegen die Nichtigkeitsklage zukünftig bereits innerhalb von zwei, in Ausnahmefällen längstens drei Monaten nach Zustellung der Nichtigkeitsklage vorlegen muss und das Bundespatentgericht seinen vorläufigen Hinweis spätestens sechs Monate nach Zustellung der Nichtigkeitsklage erstellt. In typischen Fallkonstellationen sollten diese Fristen dazu führen, dass dem Verletzungsgericht vor seiner Entscheidung über die Patentverletzung der vorläufige Hinweis des Bundespatentgerichts vorliegt, so dass das Verletzungsgericht im Fall von Zweifeln am Rechtsbestand sein Verfahren auf der Grundlage des vorläufigen Hinweises bis zur endgültigen Entscheidung im Patentnichtigkeitsverfahren aussetzen kann.
Dieser Reformansatz ist vielversprechend und könnte das Patentnichtigkeitsverfahren deutlich besser als bisher mit dem Patentverletzungsverfahren verzahnen. Sein Gelingen setzt allerdings ganz wesentlich voraus, dass das Bundespatentgericht in der Lage sein wird, seine vorläufigen Hinweise schnell und dabei in verlässlicher Qualität zu erstellen. Eventuell wird dazu eine personelle Verstärkung des Bundespatentgerichts nötig sein.
Weitere vorgeschlagene Änderungen
Der Diskussionsentwurf enthält einige weitere wichtige Neuerungen. Beispielsweise sollen für den Eintritt einer Anmeldung nach dem Patentzusammenarbeitsvertrag (PCT) in die deutsche nationale Phase zukünftig statt einer Frist von 30 Monaten ab dem Prioritätstag 31 Monate Zeit bleiben, in Angleichung an die Regelung beim Europäischen Patentamt. Zudem soll es dem Erwerber eines Patents einfacher gemacht werden, ein laufendes Einspruchsverfahren zu übernehmen. Dazu muss er sich nach dem Diskussionsentwurf zukünftig lediglich als neuer Inhaber im Patentregister eintragen lassen.
Der Entwurf steht nun zunächst zur öffentlichen Diskussion, bevor er in einen Referentenentwurf überführt wird und das Gesetzgebungsverfahren beginnt. Über den weiteren Fortschritt werden wir Sie auf dem Laufenden halten.