Von kommenden Dingen – was erwartet uns bei der jüngsten Urheberrechtsreform?
Bis zum 7. Juni 2021 müssen die EU-Richtlinie 2019/790 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt in deutsches Recht umgesetzt sein. Für die breitere Öffentlichkeit ist sie nur mit dem Stichwort des „Uploadfilters“ verbunden. Tatsächlich besteht diese Richtlinie aus einem ganzen Bündel höchst unterschiedlicher Regelungskomplexe, von denen sich einige unmittelbar auf die tägliche Praxis von Unternehmen auswirken werden, die mit urheberrechtlich geschützten Werken oder Leistungen zu tun haben.
Einführung
Es ist noch nicht lange her, seit das Urheberrechtsgesetz zuletzt geändert wurde. Die zweite Reform des Urhebervertragsrechts datiert aus dem Jahr 2016, die Novelle zu Urheberrecht und Wissensgesellschaft von 2017 und die Umsetzung der Marrakesch-Richtlinie zugunsten von Menschen mit Seh- und Lesebehinderung von 2018. Gleichwohl kommt diese Rechtsmaterie nicht zur Ruhe. Für 2021 steht in Deutschland eine weitere Urheberechtsreform an. Mit ihr wird die sogenannte DSM-Urheberrechtsrichtlinie (2019/790) aus dem April 2019 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt (daher die Abkürzung, die für ‚Digital Single Market‘ steht) in deutsches Recht umgesetzt. Die Zeit drängt: Bis zum 7. Juni 2021 muss die Umsetzung in Kraft treten.
Überblick zu den nach der Richtlinie in deutsches Recht umzusetzenden Regelungen
Obwohl diese Richtlinie im Grunde ein ganzes Bündel von Urheberrechtsrichtlinien mit höchst unterschiedlichen Regelungsbereichen darstellt, wurde sie in der Öffentlichkeit im Jahr vor ihrer Verabschiedung nur noch wegen der Debatte um den in Art. 17 der Richtlinie (im damaligen Entwurf noch Art. 13) enthaltenen sogenannten „Uploadfilter“ wahrgenommen. Tatsächlich war nur das Wort ‚Uploadfilter‘ neu. Die Regelung setzt nämlich eine bestehende Rechtslage in ein förmliches Gesetz um, welche die europäische und deutsche Rechtsprechung längst bindend formuliert hatte: die des ‚Notice- and Staydown‘ (so der EuGH erstmals bereits 2011 in Sachen C‑324/09 – L’Oréal / eBay, Rn. 131): Sie betrifft Betreiber von Online-Plattformen, auf denen Nutzer Inhalte hochladen können (die Richtlinie spricht von ‚Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten‘), also die YouTubes und Facebooks dieser Welt. Teilt ein Rechteinhaber dem Betreiber einer solchen Plattform eine Rechtsverletzung mit, die ein hochladender Nutzer begangen hat, muss der Betreiber nicht nur dafür sorgen, dass der Zugang zu solchen rechtsverletzenden Inhalten gesperrt wird, sondern ist auch verpflichtet, zu verhindern, dass gleichartige Inhalte neu hochgeladen werden.
Neben dem hochkontrovers gewordenen Art. 17 enthält die Richtlinie aber auch viel weniger in der Öffentlichkeit diskutierte, aber gleichwohl äußerst wichtige Regelungen, nämlich
- zum ‚Text- und Data Mining‘ (TDM) in Art. 3 und 4,
- zur Nutzung von Werken und sonstigen Schutzgegenständen für digitale und grenzüberschreitende Unterrichts- und Lehrtätigkeiten in Art. 5,
- zur Erhaltung des Kulturerbes in Art. 6,
- zur Nutzung vergriffener Werke in Art. 8 bis 11,
- zur kollektiven Lizenzvergabe mit erweiterter Wirkung in Art. 12,
- zur Zugänglichkeit und Verfügbarkeit audiovisueller Werke über Videoabrufdienste in Art. 13
- zu Abbildungen gemeinfreier Werke der bildenden Kunst in Art. 14,
- zu einem Leistungsschutzrecht für Presseverleger im Hinblick auf Onlinenutzungen in Art. 15,
- zur Beteiligung von Verlegern an Vergütungsaufkommen für Reprografie und Privatkopien in Art. 16 sowie
- zum Urhebervertragsrecht in Art. 18 bis 23.
Daneben ist noch eine weitere Richtlinie zeitgleich umzusetzen, die sogenannte CabSat-Richtlinie (2019/789), die sich mit der Ausübung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten in Bezug auf bestimmte Online-Übertragungen von Sendeunternehmen und die Weiterverbreitung von Fernseh- und Hörfunkprogrammen beschäftigt.
Zur Umsetzung in deutsches Recht:
Die „Plattformen für das Teilen von Online-Inhalten“
Während dieser Artikel erscheint, ist es noch unsicher, ob für alle Teile der Richtlinienumsetzung der Zeitplan zu halten sein wird. Genau wie in der europäischen Debatte um die Richtlinie, ist auch bei der deutschen Umsetzung der Komplex um die Haftung von Plattformen für das Teilen von Online-Inhalten der kontroverseste. Es ist noch nicht absehbar, wohin hier die Reise geht, da der gegenwärtig vorliegende Referentenentwurf versucht, weitestgehend ohne einen ‚Uploadfilter‘ auszukommen, obwohl die Richtlinie ihn eigentlich als Regel vorschreibt.
Hier wird insbesondere eine Rolle spielen, wie die (von der Richtlinie geforderten) neuen urheberrechtlichen Ausnahmen (Schrankenvorschriften) zugunsten von Parodien, Karikaturen und Pastiche (§ 51a UrhG-Entwurf) künftig mit den Haftungsregeln verknüpft werden.
Diese Neuregelungen haben große wirtschaftliche Bedeutung für Rechteinhaber und Plattformen gleichermaßen – sowohl was die Frage angeht, welche Nutzungen vom ihnen lizenziert werden können und welche gegen bloße gesetzliche Vergütungen frei genutzt werden dürfen als auch was die Haftung für nicht erlaubte Angebote betrifft.
Hier wird es für jeden Rechteinhaber künftig darum gehen, sich optimal auf die neue Situation einzustellen, um gegenüber Plattformnutzungen Dritter nicht wirtschaftlich auf der Strecke zu bleiben.
Zur Umsetzung in deutsches Recht – die übrigen Regelungsgegenstände
Dem gegenüber sind die meisten übrigen Regelungen wesentlich weniger kontrovers, zumal viele von ihnen bereits im geltenden deutschen Urheberrecht angelegt sind, so Regeln für die Nutzung im Rahmen der digitalen Unterrichts- und Lehrtätigkeit (§§ 60a und 60b UrhG), Text- und Datamining (§ 60d UrhG), Nutzungsbefugnisse von Kulturerbe-Einrichtungen wie Bibliotheken, Archive und Museen (§§ 60e und 60f UrhG), die Verlegerbeteiligung an gesetzlichen Vergütungsansprüchen (§ 63a UrhG, der seit einer Entscheidung des BGH in Sachen I ZR 198/13 – Verlegerbeteiligung faktisch leerläuft) oder Vergriffene Werke (§§ 51 und 52 VGG), obwohl in jedem dieser Felder die sich abzeichnenden Änderungen bei den jeweils interessierten Kreisen für große Diskussionen gesorgt haben.
Der merkwürdige Fall des Leistungsschutzrechts für Presseverleger
Dies gilt auch für das Leistungsschutzrecht des Presseverlegers (§ 87f bis 87h UrhG), das zwar bereits seit 2013 im deutschen Gesetz verankert ist, aber kürzlich vom Europäischen Gerichtshof in der geltenden Form für nichtig erklärt wurde (in der Rechtssache C‑299/17), weil es Deutschland seinerzeit versäumt hatte, die EU offiziell über das Gesetzgebungsprojekt zu informieren. Hier kommt es also zu der merkwürdigen Situation, dass eine in Deutschland bereits bestehende, wenn auch bis heute praktisch weitgehend leerlaufende Regelung wegen eines Verstoßes gegen EU-Recht vom EuGH abgeschafft wird, nur um sie sofort anschließend aufgrund einer Vorgabe des EU-Gesetzgebers in neuer Form wieder einführen zu müssen.
Die „kollektive Lizenzvergabe mit erweiterter Wirkung“
Es geht hier um eine Rechtsfigur, die nicht zwingend ein deutsches Recht umzusetzen gewesen wäre. Einmal mehr hat sich im urheberrechtlichen Jargon statt des ziemlich sperrigen deutschen Wortlauts die Abkürzung ‚ECL‘ nach dem Wortlaut der englischen Fassung durchgesetzt (Extended Collective Licensing). Das Modell stammt aus dem skandinavischen Rechtskreis und hat sich dort im selben Bereich entwickelt, in dem hier in Deutschland mit gesetzlichen Vergütungsansprüchen gearbeitet wird, zum Beispiel bei der Vergütung der Privatkopie. Von ECL spricht man, wenn eine Verwertungsgesellschaft von Gesetzes wegen auch die Rechte derer wahrnehmen darf, die gar keinen Wahrnehmungsvertrag mit ihr unterzeichnet haben. Tatsächlich kennen wir in Deutschland ähnliche Regeln im Bereich der gesetzlichen Vergütungsansprüche. Macht eine Verwertungsgesellschaft solche Ansprüche geltend, wird auch nach geltendem deutschen Recht (§ 49 VGG) vermutet, dass sie die Rechte aller Rechteinhaber wahrnimmt. Nach dem Referentenentwurf soll nun zusätzlich auch noch ECL in Deutschland eingeführt werden, und zwar im Zusammenhang mit der Lizenzierung von Plattformen für das Teilen von Online-Inhalten, weil dort nach der Richtlinie eine gesetzliche Vergütung ausgeschlossen ist. Der europäische Gesetzgeber hat jedoch genau aufgrund der Gefahr, dass ECL in die freie und individuelle Rechtsausübung eingreift, der Anwendung dieses Modells sehr enge Grenzen gesetzt. Es wird sich erst noch zeigen müssen, ob die sich abzeichnende gesetzgeberische Lösung für Deutschland diesen Anforderungen standhält. Hier werden Rechteinhaber besonders wachsam sein müssen.
Vorsicht bei Verträgen über urheberrechtlich geschützte Werke und Leistungen
Der große und bedeutende Komplex zum Urhebervertragsrecht beruht zu weiten Teilen auf dem Vorbild des deutschen Rechts (§§ 32 bis 41 UrhG), geht aber in Teilen sogar noch darüber hinaus, sodass hier alle Unternehmen, die urheberrechtlich geschützte Werke und Leistungen aufgrund von Verträgen nutzen, überprüfen sollten, welche neuen gesetzlichen Verpflichtungen künftig auf sie zukommen werden, denn einige Verpflichtungen beziehen sich auch auf bestehende Verträge und unter bestimmten Voraussetzungen sogar auch auf solche, für welche die Parteien sich auf ein nicht europäisches Vertragsrecht geeinigt haben.
Fazit
Ein halbes Jahr vor Ablauf der Frist ist noch nicht klar, wie es mit der deutschen Umsetzung weitergehen wird. Wesentliche Weichen werden erst jetzt gestellt. Daher ist für alle Unternehmen, deren Geschäft Berührungspunkte mit dem Urheberrecht aufweist, äußerste Wachsamkeit geboten. Es wird für sie nicht zuletzt darum gehen, sich administrativ auf die geänderten Anforderungen – insbesondere des Urhebervertragsrechts – einzustellen. Angesichts der immensen wirtschaftlichen Bedeutung, die inzwischen die Plattformen für das Teilen von Online-Inhalten besitzen, werden vor allem Unternehmen, die mit urheberrechtlich geschützten Inhalten umgehen, auch die Auswirkungen der neuen Regelungen zu diesem Bereich auf bestehende Geschäftsmodelle bewerten müssen. Dies wird jeweils eine Analyse im Einzelfall erfordern.